Montag, 30. November 2009

Dubai-Iran Connection und Schuldenkrise

Haben Sie gewusst, dass der Iran mit mehr als 300 Direktflügen pro Woche die Top-Destination von Dubai’s Flughafen ist? Noch wichtiger ist, dass Dubai ein gewichtiger Exporteur Iran’ s ist und als einen grossen Re-Exporteur von iranischen Waren gilt. Der Handel zwischen Dubai und dem Iran stellt eine wichtige Quelle für Teheran dar, trotz US-Sanktionen zu überleben. Davon berichtet ein interessanter Beitrag in The Business Insider. Darin ist weiter zu lesen, dass Iran’s Investitionen in Dubai sich auf 14 Mrd. $ jährlich belaufen. Der amerikanische Geheimdienst schöpft seit langem Verdacht, so der Artikel, dass Iran in Dubai ansässige Unternehmen nutzt, um Sanktionen zu umgehen. Iran’s Rolle in der Dubai-Schuldenkrise wird am meisten übersehen, behauptet der Autor des Artikels.

Abu Dhabi, das reichste Mitglied der Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) und ein enger Verbündte der USA, könnte auf Dubai einwirken, seine engen Beziehungen zum Iran zu begrenzen. Es könnte tatsächlich sein, dass dieser Druck hinter den Statements aus Abu Dhabi steckt, Dubai lediglich selektiv zu unterstützen. Unternehmen und Gläubiger mit engen Beziehungen zum Iran könnten aus einem eventuellen Bailout-Programm ausgeschlossen werden.

Hat tip FT Alphaville.

Dubai: Die 1001er Nacht-Blase

Alles auf Sand gebaut? Mit welchen weitweiten Auswirkungen der Dubai-Krise ist zu rechnen? Ist der Fall Dubai die Spitze des Eisbergs? Dubai ist nicht systemisch bedeutsam, schreibt Willem Buiter in seinem Blog. „Wenn Dubais Probleme uns nun die Augen öffnen, vor dem bevorstehenden Beginn der letzten Etappe der Reise von privaten Pleiten über Bankzusammenbrüchen bis Default von Staaten, dann mag der Fall Dubai systemisch gut sein, indem Sinne, dass die politischen Entscheidungsträger auf die Anfälligkeit der fiskalpolitischen Lage ihrer Länder alamiert werden und die Bürger und die Wähler über die Dringlichkeit des Finanzausgleichs aufklären“, erklärt Prof. Buiter.

Dubai hat vermutlich rund 100 Mrd. $ Verbindlichkeiten, wenn wir ausserbilanzielle Transaktionen einschliessen, bemerkt Simon Johnson im Blog The Baseline Scenario. Betroffen sind, soweit bekannt, HSBC, Bauunternehmen aus Korea und Stahlunternehmen aus Russland und Ukraine. Es gibt jedoch besorgniserregende Auswirkungen auf Irland, hält Johnson fest. Was hat aber Irland mit Dubai zu tun? Der Gedanke dahinter sei, dass eine partielle Rettung mit Verlusten für Gläubiger von Dubai aus Abu Dhabi etwas darüber implizieren würde, wie Irland innerhalb der EU behandelt werden würde. „Dasselbe Argument gelte auch, wenn auch vage, für Griechenland“, so Prof. Johnson. Er zählt dafür drei Optionen auf, welche Folgen zu erwarten sind, wenn was passieren sollte. Der Haupteffekt sei aber, Ben Bernanke’s Hand bei den Diskussionen in bezug auf die Geldpolitik zu stärken, sodass die US-Zinsen für lange Zeit niedrig bleiben. Finanzintermediäre werden mit der Kreditvergabe an Orte, die überschwänglich geworden sind, vorsichtiger, wenn sie die richtigen Lehren daraus (Dubai, Irland und Griechenland) ziehen. Der Spread zwischen Staatsanleihen in Euro hat sich in den vergangenen Tagen erheblich ausgeweitet. Während die Rendite der 10jährigen Bundesanleihen 3,16% beträgt, belaufen die Renditen für dieselbe Laufzeit für griechische Staatsanleihen in Euro auf 5,12%.

Die CDS-Prämien für Dubai sind heute mittag um 59 Basispunkte auf 588 Basispunkte gefallen. Die Risikoprämien für Kreditabsicherungen (CDS) für Abu Dhabi sind um 28% auf 147 Basispunkte nachgelassen. Die CDSs gelten als Stimmungsbarometer am Derivatemarkt. Sie zeigen, wie viel die Absicherung einer Forderung gegen ein Unternehmen oder einen Staat kostet. Inzwischen sieht so aus, als ob die Gläubiger von Dubai World, einem staatlich kontrollierten Unternehmen in Dubai, welches vergangene Woche um einen Zahlungsaufschub („technical default“) gebeten hat, nicht auf eine implizite Unterstützung zählen könnten. Einem Bericht von FTD habe sich das Emirat Dubai von dem besagten Unternehmen distanziert. Dubai World, das hochverschuldete Unternehmen sei nicht Teil der Regierung und Investoren werden kurzfristig von einer Restrukturierung betroffen, hiess es in dem Bericht.

Beschäftigungsprogramm via Arbeitsbeschaffungsbehörde

„Wenn Sie zur Zeit einen Job suchen, sind Ihre Aussichten schrecklich. Es gibt sechs Mal so viele Amerikaner, die eine Stelle suchen, als Stellenangebote“, schreibt Paul Krugman in seiner Kolumne in NYT von Montag. Die durchschnittliche Dauer der Suche nach einer Arbeit betrage derzeit mehr als 6 Monate. „Das ist die höchste Quote seit 1930er Jahren“, bemerkt Krugman. Die Beschäftigungssituation müsste für die Politik die höchste Priorität geniessen. Aber jetzt, nachdem der Zusammenbruch des Finanzsystems abgewendet worden ist, ist die Dringlichkeit der Problematik durch eine seltsame Passivität ersetzt worden, klagt Krugman. In Washington herrsche ein durchdringendes Gefühl, dass nichts mehr getan werden kann und die wirtschaftliche Erholung abgewartet werden soll, bis sie am Arbeitsmarkt ankommt. „Das ist falsch, und nicht annehmbar“, hält Krugman fest. Die Rezession mag technisch vorbei sein, aber Vollbeschäftigung steht nicht hinter der Ecke.


Unemployment Rate, Graph: BLS, Nov 6, 2009

Historisch gesehen folgen Finanzkrisen nicht nur schwere Rezessionen, sondern blutarme Erholungen. Es kostet mehrere Jahre, bis die Arbeitslosigkeit auf ein einigermassen normales Niveau zurückkehrt, betont Krugman. Die US-Notenbank (Fed) rechnet, dass die Arbeitslosenquote bis 2012 über der Marke 8% verharrt. „Es ist Zeit für ein Not-Programm für Arbeitsplätze. Es ist eine Frage der Prioritäten“, ist Krugman überzeugt. Das Konjunkturprogramm der Obama-Regierung war darauf konzentriert, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, nach der Überzeugung, steigt das BIP, entstehen neue Arbeitsplätze. „Das hat aber nicht funktioniert, weil der Stimulus nicht genug gross war“, hebt Krugman hervor. Er schlägt daher vor: (1) Eine neue WPA (Works Progress Administration) à la New Deal. Die WPA (Arbeitsbeschaffungsbehörde) war die grösste Bundesbehörde in den USA, die im Zuge der New Deal-Politik während der Grossen Depression geschaffen wurde. (2) Direkte Anreize für Unternehmen, für Beschäftigung zu sorgen, so wie in Deutschland Arbeitsplätze subventioniert werden, bemerkt Krugman. Es sei wahrscheinlich zu spät für so ein Programm, erläutert Krugman. Daher bevorzugt er die Idee von tax credit (Steuergutschrift-Politik), die von Economic Policy Institute vorgeschlagen wurde. Die tax credit-Politik sei sicherlich einen Versuch wert, findet Krugman.

Sonntag, 29. November 2009

CDS-Spreads für G7 nach Dubai-Schock

Das Schuldenmoratorium des Emirats Dubai hat im allgemeinen zu einem Anstieg der Risikoaversion geführt. Die CDS-Spreads sind für Dubai allein von Dienstag auf Mittwoch um 100 Basispunkte auf 428 Basispunkte gestiegen. Mittlerweile legten die CDS-Prämien auf 688 Basispunkte zu und liegen damit höher als die von Island und Lettland. Obwohl das Exposure von europäischen Banken in der Golfregion mit rund 40 Mrd. $ (Angaben: WSJ) nicht allzu hoch geschätzt wird, sind von der Gefahr eines ev. Staatsbankrotts auch die Märkte in den Industrieländern betroffen. Vor allem die CDS-Prämien für Griechenland kletterten auf 208 Basispunkte.

USA: 33 Basispunkte (1)
Japan: 67 (14)
Deutschland: 24 (1)
Grossbritannien: 69 (1)
Frankreich: 29 (1)
Italien: 92 (3)

In Klammern: Die Veränderung im Vergleich zum Schlussstand vom 20. November 2009.
Quelle: www.markit.com , per 26. November 2009


Wie am Sonntag bekannt wurde, hat die Zentralbank in der Abu Dhabi inzwischen lokalen und ausländischen Banken im Emirat Dubai eine Liquiditätshilfe angeboten. Im Unterschied zu Abu Dhabi verfügt Dubai über kein Öl. Die Wirtschaftsleistung beruht auf Immobilien und Tourismus.

Fed: Eine Frage der Unabhängigkeit

„Die Finanzkrise und die Rezession haben für viele Amerikaner verheerende Folgen: Jobs, Immobilien und Ersparnisse sind verloren gegangen“, schreibt Ben Bernanke in einem Artikel in Washington Post. „Verständlicherweise rufen viele Menschen nach Veränderung. Doch bei der Veränderung muss es um die Schaffung eines Systems gehen, welches besser funktioniert, nicht nur anders“, hält der Fed-Chef fest. „Als eine Nation ist es unsere Herausforderung, ein System der Finanzmarktaufsicht zu schaffen, dass die Lehren aus den vergangenen zwei Jahren verkörpert und einen neuen Rahmen zur Vermeidung künftiger Krisen und wirtschaftlichen Schades einsetzt, fügt er hinzu. Diese Fragen seien aber komplex. Und der Kongress sei gerade dabei, die Finanzmarktaufsicht zu reformieren. „Ich bin jedoch darüber besorgt, dass eine Reihe von Vorschlägen, die in Umlauf gebracht worden sind, die Fähigkeit der Fed, ihre Aufgaben zu erledigen, erheblich reduzieren, so Fed-Chef. Insbesondere gehen manche Vorschläge im Senat so weit, die Befugnisse der Fed in bezug auf die Bankenaufsicht zu schneiden. Die Fed habe eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Krise gespielt, und „wir sollten die Fähigkeit des Instituts bewahren, nicht beeinträchtigen“, die Finanzstabilität zu fördern und die konjunkturelle Erholung ohne Inflation zu stützen, betont Bernanke.

„Unabhängig bedeutet nicht unberechenbar“, schreibt Bernanke weiter. In der Verfolgung der Geldpolitik sei die Fed sehr transparent, indem sie detaillierte Protokolle der Sitzungen veröffentlicht, und nebst anderen Informationen regelmässig vor dem Kongress bei Anhörungen Aussagen macht, so Bernanke. Amerika brauche eine starke, unpolitische und unabhängige Zentralbank mit den Werkzeugen, finanzielle Stabilität zu fördern und die Wirtschaft zu steuern, ohne Inflation zu erzeugen, ist Bernanke überzeugt.

Fazit: Kritiker werfen der Fed vor, die Spekulationsblase am US-Immobilienmarkt nicht erkannt zu haben. Die US-Notenbank steht daher derzeit mächtig unter Druck. Ben Bernanke wehrt sich in diesem Gastbeitrag in WaPo ungewöhnlich impulsiv gegen die Vorwürfe, indem er in aller Deutlichkeit die Unabhängigkeit der Fed in Schutz nimmt und betont, dass die Verminderung der Befugnisse der Fed der ökonomischen Erholung Schaden hinzufügen würde.

Samstag, 28. November 2009

Warum gibt es keine weiteren Konjunkturmassnahmen?

Die fiskalpolitischen Impulse der Obama-Regierung haben geholfen, die Depressionsgefahr abzuwenden. Das Konjunkturprogramm war aber zu begrenzt. Man hätte mehr tun können. Warum erfolgen keine weiteren Konjunkturmassnahmen, während die Arbeitslosenquote ansteigt? Die Fiskalpolitik gilt als unpopulär. „Das ist seltsam“, schreibt Bradford DeLong in einem lesenswerten Essay in Project Syndicate. „ Denn wenn etwas funktioniert, ist es normalerweise die natürliche Folge, es zu wiederholen. Eine gute Politik, welche die Produktion ankurbelt, ohne zu Inflation zu führen, sollte politisch populär sein, oder?“, bemerkt DeLong. Der Wirtschaftsprofessor an der University of California, Berkeley geht mit der Republikanischen Partei hart ins Gericht. Obamas republikanische Widersacher behaupten nämlich, dass fiskalpolitische Konjunkturimpulse nicht funktionieren. „Ihre Argumente sind 1) inkohärent, 2) schlicht falsch und 3) verlogen“, hält DeLong fest.

Zur Erinnerung: Das Jahr 1993, als die Clinton-Regierung beschloss, die Ausgaben zu kürzen, um damit das Haushaltsdefizit zurückzufahren, behaupteten die Republikaner, dass das die Wirtschaft ruinieren würde. „Diese Behauptungen waren damals so falsch wie heute“, hebt der ehem. stellvertretende Secretary of the Treasury (Generalsekretär des US-Finanzministeriums) hervor. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums sieht DeLong daher einen aussergewöhnlichen Mangel an intellektueller und politischer Redlichkeit. Zu Recht. Die Kosten der zusätzlich aufgelaufenen Schulden sind aussergewöhnlich niedrig, behauptet DeLong. Steuermehreinnahmen von 12 Mrd. $ reichen, um zum gegenwärtigen Zinssatz das Konjunkturprogramm zu finanzieren“, rechnet er aus.

Auch das Argument, dass fiskalpolitische Impulse zwar Beschäftigung und Produktion ankurbeln, aber dies zu übermässigen langfristigen Kosten, weil sie eine zu starke US-Staatsverschuldung herbeiführen, zählt im Grunde nicht. „Wenn die Zinsen für US-Staatsanleihen hoch wären und bei wachsender Verschuldung steil anstiegen, würde ich dem zustimmen“, analysiert DeLong. Die Zinsen für US-Staatsanleihen sind heute sehr niedrig und steigen nicht. DeLong macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass zwischen privaten Schulden und US-Staatsschulden unterschieden werden müsse. Denn die beiden bewegen sich seit Beginn der Finanzkrise in unterschiedliche Richtungen und verhalten sich unterschiedlich. „Was der Markt derzeit sagt, ist nicht, dass die Volkswirtschaft zu hohe Schulden aufweist, sondern dass sie zu hohe private Schulden aufweist“, schlussfolgert DeLong zu Recht.

Nach der Krise

Buchbesprechung

Roger de Weck: Nach der Krise. Gibt es einen anderen Kapitalismus? Nagel & Kimche, Zürich, 2009.


Banken, die im Zentrum des Finanzsystems stehen, haben die Finanzkrise verursacht. Wo dogmatisch dereguliert, entstaatlicht und privatisiert wird, entstehen über exzessive Verschuldung Spekulationsblasen, die dann zu schwerwiegenden Finanzkrisen mit fatalen Sozialfolgen führen. „Eine Krise der Finanz, der Wirtschaft, der Politik, der Medien – dahinter eine Wertekrise“, schreibt Roger de Weck in seinem neu vorgelegten Buch. Er fordert einen neuen Rahmen, eine Marktwirtschaft mit sozialen und ökologischen Zielen (statt allein mit Gewinnziel). Zu den Ursachen des Finanzdebakels zählt de Weck u.a. den Vorrang des Kapitals vor der Arbeit, den Primat der Wirtschaft über den Staat, Kapitalismus als Religion und „Ökonomismus“, d.h. der Markt beherrscht die Wirtschaft, anstatt ihr zu dienen.

Dem Autor gelingt es, die Fehlentwicklungen der gegenwärtigen Krise in den Kontext der schleichenden und epochalen Untergrabung des Vorrangs der Demokratie vor der Ökonomie einleuchtend vor Augen zu führen. Roger de Weck erläutert mit bestechend scharfen Argumenten, warum es eines demokratischen Kapitalismus bedarf, um die Übermacht der Finanzwelt zu brechen. Er spricht sich für ein besseres Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit. „Der Staat bleibt so wichtig wie der Markt“. Das in einem makellosen Stil geschriebene Buch moralisiert, aber ist keineswegs auf Moralismus hinaus. Wichtigste Lehre der Krise ist, dass „wir Banken keinen grossen politischen Einfluss mehr zubilligen dürfen“.

Roger de Weck lebt und schreibt in Berlin und Zürich. Er moderiert die Fernsehsendung Sternstunden Philosophie, ist Präsident des Graduate Institute of Internationale and Development Studies in Genf und lehrt am College of Europe in Brügge und Warschau. Zuvor war er Chefredakteur der Hamburger ZEIT und des Zürcher TagesAnzeigers.

Vollkommen unerklärlich ist aber, warum der weitsichtige Autor mit intellektueller Redlichkeit populistische Politiker ohne Vision wie z.B. Sarkozy und Merkel im positiven Sinne in diesem hervorragenden Buch wörtlich wiedergibt. Wenn er schon UNCTAD im Buch erwähnt, hätte er Heiner Flassbeck, den hochangesehenen Chef-Ökonom dieser UNO-Organisation zitieren können. Es hätte sich sehr gut gehört. Denn Prof. Flassbeck zeigt in seinem zu Jahresbeginn veröffentlichten grossartigen Werk „Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert“ überzeugend auf, wie Demokratie und Marktwirtschaft gefährdet sind, wenn Politik und Gesellschaft in Grundfesten von der Unternehmenslogik dominert werden.

„Der Markt kann an skrupellosen Marktteilnehmern, der Kapitalismus an den Kapitalisten scheitern. Es kommt nicht allein auf das richtige System an, sondern auf seine Akteure. Und reguliert der Markt sich selbst, gewähren sich viele dieser Akteure Narrenfreiheit“, schreibt de Weck am Schluss. Ein grandioses Buch, welches bestimmt zu den besten Büchern des Jahres 2009 in deutscher Sprache zählen dürfte.

Freitag, 27. November 2009

TBTF: Wie gross ist zu gross?

Neue Rechtsvorschriften über die Umstrukturierung des Bankensektors bewegen sich nach vorne. Das Hauptaugenmerk gilt derzeit der Grösse von Banken. Sollen Banken kleiner gemacht werden oder nicht? Peter Boone und Simon Johnson befassen sich in einem lesenswerten Essay in NYT mit dieser Frage ausführlich. Die Autoren erwähnen v.a. zwei Regulierungsansätze. Der erste ist von Senator Bernard Sanders aus Vermont, der im November einen Gesetzentwurf vorgestellt hat: „Too big to fail is too big to Exit“. Der zweite ist von Paul E. Kanjorski aus Pennsylvania, der eine Verfassungsänderung im Hinblick auf „Financial Stability Improvement Act“ vorgeschlagen hat. Ziel ist, die Regulierungsbehörden auf Bundesebene zu ermächtigen, Finanzunternehmen, die so gross und miteinander verbunden (inter-connected) oder riskant sind, dass ihr Zusammenbruch für das ganze US-Wirtschaftssystem ein Risiko darstellen würde, an die Kandare zu nehmen.

Boone (London School of Economics) und Johnson (Peterson Institute for International Economic) bemerken, dass der Kanjorski-Vorschlag sehe, dass es schwer ist, system- und sozialgefährdende Banken zu erkennen und deswegen eine Reihe von potenziellen objektiven Kriterien vorschlage, die von Financial Services Oversight Council (welches von der Gesetzgebung noch zu gründen ist) verwendet werden könnten, zu bestimmen, wann die Banken aufgebrochen werden müssen, einschliesslich Umfang, Grössenordnung, Exposure, Leverage, Vernetzung der Finanzaktivitäten. Der Kanjorski-Vorschlag erlegt den Banken aber keinen Deckel. Derzeit wird aber im Repräsentantenhaus darüber debattiert. Es gibt natürlich einen starken Präzedenzfall für die Begrenzung der Grösse einer einzelnen Bank, halten die beiden Wirtschaftswissenschaftler fest: Keine Bank darf mehr als 10% der gesamten Einlagen von Privatkunden haben. Diese Beschränkung gilt nicht aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Denn 10% ist zu niedrig, um Preisgestaltungsmacht auszuüben. Vielmehr liegen die Ursprünge darin, dass man „nicht alle Eier in einen Korb legen“ soll, so die Autoren. Der beste Weg wäre, eine harte Obergrenze für die Bankverbindlichkeiten in Prozent des BIP zu setzen, schlagen die Professoren vor. Das sei der geeignete Massstab, wenn man über potenzielle Bankpleiten und die Kosten für die Gesamtwirtschaft nachdenkt. Natürlich gebe es technische Einzelheiten, betonen die Autoren. 2% scheine aber richtig. Das würde bedeuten, dass keine amerikanische Bank Verbindlickeiten über 300 Mrd. $ haben darf. Heute mangelt es Politikern und Regulierungsbehörden an Glaubwürdigkeit. Sie haben zu viele Banken gerettet (bailout) und müssen nun zeigen, dass sie wieder die Oberhand gewinnen, indem sie eine schwere Deckelung ohne Ausnahme erlassen, schlussfolgern Boone und Johnson.

Black Friday vs. Schwarzer Freitag

Wird aus „Black Friday“ nun ein „Schwarzer Freitag“? Die CDS-Prämien für Dubai schiessen durch die Decke. Die Kosten für die Absicherung von Kreditrisiken (CDS) für Staatsanleihen des Emirats kletterten heute morgen um 134 Basispunkte auf 675 Basispunkte. Damit liegen sie höher als die für Island. Bemerkenswerterweise ist zugleich auch der Ölpreis um 5% (d.h. rund 3,90$) auf 73,25$ eingebrochen. Die zunehmende Angst vor Zahlungskrise in der Golfregion zeigt, dass die Folgen der Finanzkrise noch nicht überstanden sind. Die Finanzmärkte reagieren mit Risikoaufschlägen für Kreditabsicherungen, was v.a. Schwellenländer betrifft. Auffallend ist jedoch, dass auch die CDS-Prämien für Griechenland stark gestiegen sind, wie Gillian Tett in einem Artikel in FT darauf verweist. Sie schreibt, dass Griechenland und Dubai belegen, dass das Finanzsystem unstabil bleibt. Die Risikoaufschläge am CDS-Markt sind gestern für griechische Staatsanleihen über 208,5 Basispunkte gestiegen. „Das wäre vor zwei Jahren undenkbar gewesen“, kommentiert Frau Tett.

Da lagen die CDS-Prämien für Staatsanleihen aus Griechenland bei 15 Basispunkten, während die für türkische Staatsanleihen bei rund 500 Basispunkten notierten. „Nun scheint es so, als ob die CDS-Spreads für Griechenland zum ersten Mal über die der Türkei liegen werden“, hält Tett fest. Grund: „Das tiefe Haushaltschaos in Griechenland, finanziert durch Euro“, hebt Tett hervor. Gemäss Bloomberg lagen heute die CDS-Prämien für Griechenland zeitweise höher als die für die Türkei. „Das ist ein schwerer Schlag für griechischen Stolz“ kommentiert Frau Tett.

Tobin-Steuer: Sand ins Getriebe der spekulativen Transaktionen

Die Idee, eine Steuer auf grenzüberschreitende, kurzfristige spekulative Kapitalbewegungen zu erheben, stösst derzeit v.a. in London auf ein grosses Interesse. Adair Turner, Chef der britischen Financial Services Autority (FSA) hat die Ansicht geäussert, dass eine weltweite Steuer auf Finanztransaktionen dazu beitragen könnte, die Vergütungsexzesse im Finanzsektor zu begrenzen, zumal dadurch „sozial nutzlose“ Aktivitäten abgewehrt werden würden. An der britischen Vorgehensweise knüpfend diskutiert Paul Krugman in seiner Freitagskolumne in NYT die Frage, warum Tobin-Steuer eine gute Idee ist. Eine derartige Steuer würde für Menschen, die im Aussenhandel engagiert sind, triviale Kosten bedeuten, aber zugleich eine grosse Abschreckung für die Menschen darstellen, die auf der Suche nach dem schnellen Geld sind. Das würde, um Tobin zu zitieren, „Sand ins Getriebe der spekulativen Finanzmärkte streuen“. Während die Händler weltweit tätig sind, werden die Transaktionen an einem Ort abgewickelt: In London. Die Ermittlung und Besteuerung wäre daher relativ leicht, hebt Krugman hervor.

Eine Steuer auf Finanztransaktionen, die von ultra-kurzfristigen Finanzierung abhängen, hätte dazu beitragen, die gegenwärtige Krise zu verhindern und eine in Zukunft zu vermeiden, so Krugman. „Würde eine Tobin-Steuer alle unsere Probleme lösen? Natürlich nicht. Aber sie könnte ein Teil des Prozesses sein, unseren aufgeblähten Finanzsektor schrumpfen zu lassen. In dieser wie in allen anderen muss die Obama-Regierung ihre Meinung frei von Wall Street bilden“, hält Krugman fest. Die Tobin-Steuer würde präventiv wirken.

Die Tobin-Steuer, benannt nach dem amerikanischen Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften, James Tobin, ist auf die 1970er Jahren zurückzuführen. Sie ist eine Art internationale Spekulationssteuer und wurde im Zug der Währungskrisen in Lateinamerika vorgeschlagen. Betroffen davon ist jede Devisentransaktion. Als Bemessungsgrundlage gilt der Nominalwert der Transaktion. Der Steuersatz schwankt zwischen 0,05% und 1,0%.

Auch Dani Rodrik, Professor für politische Ökonomie spricht sich für die Einführung einer Tobin-Steuer in einem lesenswerten Essay in FTD.

Donnerstag, 26. November 2009

Dubai: Goodbye?

Die Finanzkrise lodert am Golf wieder auf. Dubai bittet Gläubiger um Zahlungsaufschub für die Rückzahlung von Krediten. Die Angst vor einer Zahlungsunfähigkeit des Emirats Dubai löste massive Verkaufsorders an den europäishen Aktienmärkten aus. Die amerikanischen Börsen sind wegen eines Feiertages (Thanksgivin) geschlossen. Besonders stark sind Finanzwerte unter Druck geraten. Betroffen sind aber auch die Aktien von Unternehmen, die in engen Handelsbeziehungen mit den arabischen Staaten stehen. Der Kurs der Londoner Börse LSE ist z.B. um mehr als 8,5% eingebrochen, da die staatliche Börse von Dubai 22% an der LSE hält. Die Rating-Agenturen Moody’s (Statement) und Standard & Poor’s haben bereits gestern die Bonität von Dubais Staatsunternehmen teilweise auf Ramschniveau gesenkt. In Zahlungsschwierigkeiten stecken Unternehmen, welche für die künstliche Palminsel verantwortlich sind.

Das von einem Scheich geführte kleine Fürstentum kennt keine Umweltschutzauflagen. Es werden kaum Steuern erhoben und es gibt keine Kontrollre, was Geld- und Warenströme betrifft. Wie eine Tausendundeine Nacht Märchen. Es gibt nicht einmal verlässliche Daten zur Einwohnerzahl. Die Zahl schwankt zwischen 150'000 und 250'000, da angeblich rund 80% der Bevölkerung aus sog. „Gastarbeitern“ besteht.

Die CDS-Prämien für Dubai, Saudi Arabien, Bahrain usw. sind durch die Decke geschossen.

Hier ist ein kurzer Überblick über die Prominente, die in Dubai Immobilien erworben haben: I’m celebrity, get me out of Dubai!.

Exit Strategie ohne Exit

Die Fed hat gestern das aktuelle Sitzungsprotokoll von 3./4. November (Minutes of FOMC) veröffentlicht. Die Notenbanker betonen, dass sie sich negativer Nebeneffekte niedriger Zinsen bewusst sind. Die Prognosen legen aber nahe, dass die Fed nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand keinen Anlass hat, aus der lockeren Geldpolitik demnächst auszusteigen.

Neue Fed-Prognosen auf der Sitzung von 3./4. November 2009:

BIP:
2010: 2,5 bis 3,5%
2011: 3,4 bis 4,5%

Arbeitslosigkeit:
2010: 9,3 bis 9,7%
2011: 8,2 bis 8,6%

Inflation (gemessen am PCE-Deflator):
2010: 1,3 bis 1,6%
2011: 1,0 bis 1,9%


Inflation, Graph: Minutes FOMC, Nov 3-4, 2009

Was sagen uns diese Zahlen? Paul Krugman hat es ausgerechnet: Gemäss Taylor-Regel würden sich für die kommenden Jahren die folgenden Leitzinsen (Fed Funds Rate=FFR) ergeben:

Ende 2009: -6,3%
Ende 2010: -5,4%
Ende 2011: -3,3%
Ende 2012: -0,6%

Das bedeutet konkret, dass die US-Wirtschaft in den nächsten drei Jahren in einer Liquiditätsfalle stecken wird und die „mengenmässige Lockerung“ (quantitative easing) fortsetzen muss.

Zur Erinnerung: Japan war 2000 aus der Nullzins-Politik (Zero Interestrate Policy=ZIRP) zu früh ausgestiegen. Die Folge war katastrophal, wie man in Japan heute noch spürt. Dasselbe gilt auch für die USA im Jahre 1937. Es ist klar, dass die Notenbanker bei nahezu Null Zinsen Alpträume haben. Aber sie haben keine andere Wahl, als am gegenwärtigen Kurs festzuhalten.


GDP and Unemployment, Graph: Minutes FOMC, Nov 3-4, 2009

Thanksgiving und Black Friday

Heute wird in den USA Thanksgiving gefeiert. Aufgrund des Feiertags bleiben am Donnerstag Aktien- und Anleihemärkte in den Vereinigten Staaten geschlossen. Am Freitag wird die Weihnachts-Einkaufssaison eingeläutet. Der Start des Weihnachtsgeschäftes im amerikanischen Einzelhandel wird „Black Friday“ genannt. Volkswirte erhoffen sich Aufschlüsse darüber, ob die Verbraucher der Konjunktur auf die Beine helfen können oder nicht. Die Ausgaben der Konsumenten machen rund 70% der amerikanischen Wirtschaftsleistung aus. Einzelhandelsunternehmen versuchen jetzt, mit Rabattschlacht die Kundschaft in die Läden zu locken. Warum heisst aber der Start des traditionellen Einkaufswochenendes „Black Friday“? Weil es vielen Geschäften erst ab diesem Tag gelingt, gigantische Umsätze zu machen, was angeblich im Gesamtjahr zu schwarzen Zahlen führt.


Dieser Tag hat mit dem Tag des Börsencrashs vom Oktober 1929 in New York („Schwarzer Freitag“) nichts zu tun. Im Englischen heisst es im übrigen „Black Thursday“. Der dramatische Kurseinbruch der Aktien an der Wall Street und der Beginn der Weltwirtschaftskrise wird in Europa wegen der Zeitverschiebung „Schwarzer Freitag“ genannt.

Bemerkenswert ist, dass sich der Abwärtstrend des US-Dollar heute verstärkt hat und die US-Währung gegenüber dem Euro und dem Schweizer Franken neue Tiefstände erreicht hat.

Mittwoch, 25. November 2009

Grossbritannien: Wachstumsschwäche hält an

Grossbritannien steckt weiter in Rezession. Das BIP ist im Vereinigten Königreich im III. Quartal um 0,3% geschrumpft. Nach einer ersten Einschätzung war die Wirtschaft um 0,4% zurückgegangen. Im Vergleich zum Vorjahresquartal hat das Wirtschaftswachstum um 5,1% abgenommen.


UK GDP, Graph: Office for National Statistics

Die britische Wirtschaft verbucht damit zum 6. Quartal in Folge ein Minus. Die Vorräte fallen weiter. Im III. Quartal haben sich die Lagerbestände in Höhe von 4,1 Mrd. £ zurückgebildet. Ein erstes Anzeichen der Wende in Konjunktur?

Kein Finsternis am Anleihemarkt

Die US-Notenbank (Fed) will den lockeren Kurs der Geldpolitik beibehalten. Aus dem Protokoll der Sitzung vom 3./4. November geht hervor, dass Fed-Chef Ben Bernanke keinen baldigen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik plant. Der Leitzins ist bekanntlich im Zuge der Finanzkrise auf ein Rekordtief von 0 bis 0,25% gesenkt worden. Die Fed hat ihre Prognosen für die BIP-Entwicklung im laufenden und kommenden Jahr (2,5 bis 3,5%) etwas nach oben revidiert. Zugleich senkten die Notenbanker, wie gestern bekannt wurde, ihre Inflationsprognose. Das lässt darauf schliessen, dass die lockere Geldpolitik noch eine Weile fortgesetzt werden wird. Dennoch kann man sich beim Blick in die Medien des Eindrucks nicht erwehren, als ob es nur noch eine Frage der Zeit wäre, dass das Gespenst der Inflation wiederaufersteht. Die Argumentation lautet etwa so: Die Bilanz der Notenbanken ist extrem aufgebläht. Die Staatsverschuldung steigt ins Unermessliche. Das Haushaltsdefizit nimmt massiv zu. Das alles gefährde die Preisstabilität. Folglich werden die Zinsen steigen müssen. Dem ist es aber nicht so.


10 Y UST, Graph: Bloomberg.com

Die Auktion 5-jähriger US-Treasuries (2,175%) ist gestern mit Erfolg abgeschlossen. Die Versteigerung mit einem Rekordvolumen von 42 Mrd. $ ist auf eine grosse Nachfrage gestossen. Nach Angaben des US-Schatzamtes gingen Gebote über 118 Mrd. $ ein. Bei der letzten Auktion betrug das Gebot 107 Mrd. $. Das bid/cover Verhältnis kletterte von 2,63 auf 2,81. Das ist das höchste Niveau seit September 2007. 60,9% wurden den sog. indirekten Bietenden zugeteilt. Der Staat kann sich also nach wie vor günstig Kapital beschaffen. Für zehn Jahre zahlt der Staat rund 3,5%. Das ist das niedrigste Niveau seit mehr als 60 Jahren. Die Renditen am langen Ende der Kurve schwanken zwischen 4,5 bis 5,0%. Auf dem Niveau lagen sie, als sich die Spekulationsblase am Immobilienmarkt bildete. Seitdem kam es also nicht zu einem Anstieg der Zinsen. Der private Sektor, der nach wie vor leidet, parkt das Geld kurzfristig bei sicheren und liquiden T-Bills, weshalb die Renditen indes gegen Null Grenze tendieren, ja zum Teil sogar ins Negative gerutscht sind. Der öffentliche Sektor hingegen sorgt mit deficit spending dafür, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gestützt wird. Natürlich gibt es eine Lücke zwischen den Renditen am kurzen und langen Ende. Da springen Carry Trader hinein, indem sie sich kurzfristig verschulden, um damit u.a. längerlaufende Staatsanleihen zu kaufen. Muss man befürchten, dass die langfristigen Zinsen plötzlich beginnen würden, zu steigen? Es sieht nicht danach aus. Weil es ein finanzielles, nicht ein fiskalisches Problem ist, mit dem der Markt konfrontiert ist, wie Paul Krugman betont. Das Ganze hat also mit dem Haushaltsdefizit nichts zu tun. Die US-Wirtschaft ist im III. Quartal nach einer gestern erfolgten Revision um 2,5% gewachsen, nicht wie ursprünglich geschätzt um 3,5%. Zuvor war das US-BIP vier Quartale in Folge geschrumpft. Das bedeutet, dass (1) die Produktionslücke (output gap)unter diesen Umständen nicht so schnell geschlossen werden kann, und (2) die Arbeitslosigkeit lange anhalten dürfte. Die Fed hat vor diesem Hintergrund keinen Anlass, die Leitzinsen demnächst anzuheben. Der Anleihemarkt scheint daher nicht besorgt über die zunehmende Schuldenaufnahme des Staates zu sein.

PS: Die Risikoaufschläge für 5jährige Kontrakte auf Treasuries lagen im Januar über 50,5 Basispunkte. Zur Zeit notieren sie bei 31,99 Basispunkten. Das bedeutet eine erhebliche Entspannung seit Jahresbeginn. Bei CDS handelt es sich um eine Absicherung gegen Kreditausfälle. Das heisst konkret, dass Investoren zur Zeit 0,319% der Summe, die sie absichern wollen, als Versicherungssumme zahlen müssen. Anleger haben also 31’990 Euro zu zahlen, um amerikanische Staatsanleihen im Wert von 10 Mio. Euro für fünf Jahre gegen den Ausfall zu versichern.

Lohnverzicht und fatale wirtschaftliche Folgen

„Beschäftigungssicherung ist das Gebot der Stunde“, schreibt Heiner Flassbeck in einem lesenswerten Essay in SZ. Auch wichtige Gewerkschaften sind dafür. Manche gehen aber soweit, dass sie die Beschäftigungssicherung sogar über die Lohnforderung stellen. Die Mitarbeiter sind dann bereit, auf Lohnerhöhung zu verzichten oder weniger zu arbeiten. Flassbeck warnt jedoch vor den Folgen dieses vermeintlich guten Zusammenspiels. „Lohnverzicht kann die Beschäftigung in einem einzelnen Betrieb sichern – gesamtwirtschaftlich führt er tiefer in die Rezession“, hält der Direktor bei den Vereinten Nationen in Genf (UNCTAD) fest. Sinkt der Lohn, sinkt die aggregierte Nachfrage. Dann geht auch der Umsatz der Unternehmen zurück. Folglich verzeichnen Unternehmen trotz Kostensenkungen keine Verbesserung bei Gewinnen. Denn der Gewinn des Unternehmens steht am Ende des Investitions- und Produktionsprozesses fest.

Auf den Export ist diesmal kein Verlass, weil der Euro kräftig gestiegen ist und Konsum und Investitionen auf beiden Seiten des Atlantiks schwach verlaufen. Erwarten Unternehmen weitere Verluste, kürzen sie Löhne weiter oder sie versuchen, die Preise zu senken, um bei sinkender Nachfrage ihre Marktanteile zu halten. Das führt aber am Schluss zu einer Deflation. Unter gesamtwirtschaftlicher Logik entpuppt sich die Lohnsenkung als eine Falle.

Fazit:Nur wenn der Staat über deficit spending die Nachfrage stützt, führt der Weg aus der Krise.

Buchtipp: Heiner Flassbeck: „Gescheitert“.

Dienstag, 24. November 2009

FDIC-Bericht: Aktuelle Zahlen im III. Quartal

Die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) hat heute ihren Quartalsbericht vorgestellt. Wie die FDIC-Chefin Sheila Bair mitgeteilt hat, ist der von der Regierung verwaltete Fonds zum Schutz von Einlegern erstmals seit den 1990er Jahren mit 8,2 Mrd. $ in die rote Zahlen gerutscht. Grund: Das bescheunigte Tempo der Bankzusammenbrüche im III. Quartal. Bankkunden brauchen sich jedoch keine Sorgen zu machen, da die Einlagen trotz des negativen Saldo geschützt sind. Das Defizit reflektiert das Geld, das von der FDIC (Einlagensicherungsbehörde) eigens für die Deckung von Bankpleiten auf die Seite gelegt wird. Die Behörde hatte im Oktober angekündigt, dass der Fonds aufgebraucht ist. Ungeachtet der ersten Anzeichen einer konjunkturellen Erholung geht der Bericht davon aus, dass sich im Land 8'100 Kreditgeber in einem fragilen Zustand befinden.


DIF, Reserve Ratios, Graph: FDIC, quarterly report, Nov 2009

Hier sind ein paar interessante Zahlen aus dem Bericht:
Der Gewinn der Banken beläuft sich im III. Quartal auf 2'800 Mrd. $, nach einem Verlust von 3'700 Mrd. $ im II. Q.

Die Anzahl der sog. „Problem Banks“ legte von 416 auf 552 zu.

Seit Jahresbeginn sind insgesamt 124 Banken gescheitert.

Die Widrigkeiten am Kreditmarkt werden noch einige Zeit verbleiben. Wir rechnen mit ein paar weiteren Quartalen, sagte Frau Bair in der Pressekonferenz. Sie bleibt aber zuversichtlich: „Wenn wir diese Probleme angehen, werden wir klare Anzeichen einer Verbesserung in Bankgewinnen und Kreditwesen 2010 sehen“, so Bair.


Fonds-Saldo und Einlagen, Graph: FDIC, quarterly report, Nov 2009

S&P/Case-Shiller National Home Price Index: Minus 8,9% im III. Q. 2009

Die heute vorgelegten Daten von Standard & Poor’s Case/Shiller Index zeigen, dass der National Home Price Index sich im III. Quartal verbessert hat. Der Index ist das zweite Quartal in Folge gestiegen.

Im Vergleich zum Vorjahresquartal hat der Index einen Rückgang von 8,9% verbucht. Das stellt im Hinblick auf den annualisierten Rückgang um 14,7% im II. Quartal 2009 eine Verbesserung dar. Im I. Quartal 2009 betrug der Rückgang 19,0%.

Der 10-City und 20-City Composite Indizes sind im September annualisiert um 8,5% resp. 9,4% gefallen. Die beiden Indizes haben den fünften Monat in Folge einen Anstieg verzeichnet. Während die Hausbaubeginne im September fielen, hat die Regierung den First-Time Buyer’s Tax Credit* verlängert und ausgedehnt.

* Es handelt sich dabei um eine Steuergutschrift in Höhe von 8'000 $ für Erstkäufer von Eigenheimen.
S&P/Case-Shiller Home Price Index, Graph: Standard & Poor’s

Die zweite Abbildung zeigt, dass die durchschnittlichen Hauspreise in den USA per III. Quartal 2009 auf dem ähnlichen Niveau liegen, wo sie im Herbst 2003 waren.


S&P/Case-Shiller National Home Price Index, Graph: Standard & Poor’s

Stanley Fischer: Bank of Israel-Gouverneur

Stanley Fisher, der Präsident der israelischen Notenbank (Bank of Israel, BoI) hat gestern den Leitzins um 25 Basispunkte auf 1,0% erhöht. Fischer hat einen Ruf als Vorreiter erworben, nachdem er am 7. Oktober 2008 die Leitzinsen in Israel um 50 Basispunkte auf 3,75% senkte, also bevor die Fed, die EZB und die BoE sich anschickten, die Zinsen anzuheben. Danach folgten unter Fischer’s Regie sieben Zinssenkungen in Israel bis auf ein Rekordtief von 0,50% im April 2009. Am 25. August wurde Fischer der erste Gouverneur der Zentralbank in der Welt, der den lockeren Kurs der Geldpolitik rückgängig machte. Er hob den Leitzins um 25 Basispunkte auf 0,75%. Australien und Norwegen folgten dem Kurs der BoI als weitere Zentralbanken der industrialisierten Welt. Andere Zentralbanken sollten sich dem Entscheid der BoI anschliessen, sagte Nouriel Roubini. Der Wirtschaftsprofessor an der New York University hatte die globale Finanzkrise im Jahre 2006 richtig prognostiziert.


Business Sector Activity, Graph: BoI, Research Dept. Companies Survey, III. Q. 2009, Nov 24, 2009

Stan Fischer war von 1988 bis 1990 Chefökonom der Weltbank in Washington. Sein Nachfolger hiess Summers. Lawrence Summers, der Wirtschaftsberater des heutigen US-Präsidenten war unter den Studenten von Prof. Fischer. Ben Bernanke, der Fed-Chef hat 1979 unter Stanley Fischer promoviert. Mit Tim Geithner, dem gegenwärtigen amerikanischen Finanzminister hat Fischer während der Bekämpfung der Finanzkrisen in Mexiko, Russland und Südostasien zusammengearbeitet. Wenn Fischer redet, hören alle zu. Hier ist ein lesenswerter Bericht von Bloomberg über den interessanten Werdegang von Fischer. Der MIT-Professor war von 1994 bis 2001 stellvertretender Direktor des IWF.

Staatsschulden-Hysterie

Staaten sollen rechtzeitig aus den Konjunkturprogrammen aussteigen. Das ist die Forderung, die von vielen Politikern und Mainstreamökonomen insbesondere seit ein paar Wochen intensiv immer wieder gestellt wird, mit dem Ziel, um die befürchtete Hyperinflation zu bändigen. Angesichts der steigenden Arbeitslosenquote und anhaltenden Schwäche am Immobilienmarkt zeigen Anleiheinvestoren aber keine Bedenken, dem Staat zu 3,35% für zehn Jahre Geld zu leihen. Das ist übrigens das niedrigste Niveau seit mehr als 60 Jahren. Die Renditen am langen Ende der Kurve verlaufen seit Mitte der 2000er Jahren zwischen 4,5% und 5,0%. Die staatliche Kreditaufnahme hat den Ausfall in der Privatwirtschaft nicht einmal ausgeglichen, wie Paul Krugman hervorhebt. Eine weitere Ausgabenerhöhung wäre also auf keinen Fall Fehl am Platz. „Die Argumente darüber, ob wir mehr Fiskalstimulus benötigen, machen die Wirklichkeit undeutlich, die dahinter steckt, dass die zunehmende Schuldenaufnahme den wirtschaftspolitischen Spielraum der Regierungen einengt“, schreibt jedoch Robert Samuelson in seiner Kolumne in Washington Post. Der provokative Titel lautet: „Kann Amerika pleite gehen?“.


10-Y US-Treasuries, Graph: Fed St. Louis

„Tiefe konjunkturelle Abflachung, Hyperinflation, Unsicherheit usw.“ sind andere Stichworte, die im Artikel auffalllen. Nach der Lektüre sei er wütend geworden, schreibt James Kwak in seinem Blog The Baseline Scenario. Samuelson liefere nicht nur keinen Beweis dafür, dass ein hohes Schuldenniveau zu einem Unfall führt, sondern er widerspricht sich selbst, bemerkt Kwak. Denn Samuelson verweist auf den Fall Japan in den 1990er Jahren. Während die japanische Regierung die Staatsverschuldung erhöhte, um die Nachfrage zu stützen, verliefen die Zinsen unbeeindruckt nahe an der Null Grenze weiter. Samuelson zieht aber daraus den Schluss, dass das so lange gut gehe, bis das Vertrauen verfliege. „Das ist sicher nicht die Schlussfolgerung aus dem japanischen Beispiel“, betont aber Kwak. „Das ist eine Binsenwahrheit, die Samuelson vor dem Fall Japan beteuerte und nun wiederholt“, behauptet Kwak und fügt hinzu: „seine Kolumne ist es nicht wert, zu lesen“. Er sei nicht ein Fan von massiver Staatsverschuldung, so Kwak weiter, „wer ist es schon?“. Doch das bedeute aber keine Entscheidung für leere Rhetorik, so Kwak. Samuelson’ Argumente dienen einem Zweck, Leute und Politiker zu erschrecken, über die zunehmende Arbeitslosigkeit nichts zu unternehmen, weil es sonst angeblich zu Hyperinflation käme, schliesst Kwak seinen Kommentar.

Auch Dean Baker kann mit Samuelson’s Argumenten nichts anfangen. Es ist Schade, dass die WaPo keinen Platz für Warnungen vor der Spekulationsblase in Höhe von 8'000 Mrd. $ am Immobilienmarkt gefunden hat, schreibt Baker, was vollkommen vorausschaubar gewesen sei. Das ist ein „Krieg der Welten“, eine Schreckensgeschichte, nicht ernste Politikanalyse, hält Baker fest.

Neue Vermögenspreisblase: Aber wo genau?

Die „mengenmässige Lockerung“ (quantitative easing) und damit verbunden die Politik des billigen Geldes kommen immer mehr ins Gerede. Während des Asien-Besuchs des amerikanischen Präsidenten Barack Obama und auf der APEC-Konferenz von November 2009 meldeten sich hochrangige Vertreter der Regierungen aus der Region zu Wort, dass sie über die tiefen Zinsen in den USA und die anhaltende Dollar-Schwäche sehr besorgt sind. Grund: Carry Trades und Kapitalzuflüsse nach Asien werden dadurch angeheizt. In China, Hongkong und Japan wurde der Fed vorgeworfen, mit der Niedrigszinspolitik zur Entstehung einer neuen Vermögenspreisblase beizutragen. Rund zehn Tage davor hatte Nouriel Roubini in einem Essay in FT geschrieben, dass die Fed mit ihrer lockereren Geldpolitik für eine neue Monsterblase sorge. Die Schwäche des US-Dollars werde durch die Mutter aller Carry-Trades beflügelt. Leerverkäufer investieren in alle möglichen risikobehafteten Anlageklassen, bis die Carry-Trades zusammenbrechen, so Roubini.

Auch Bill Gross, der Manager des weltgrössten Anleihenfonds von pimco warnte vergangene Woche in diesem Sinne von einem steigenden systemischen Risiko. Die Fed zwinge Anleger, in Risikoanlagen zu investieren, so Gross in seiner aktuellen Analyse. Bemerkenswert ist, dass Robert Shiller, der vor den beiden vergangenen Vermögenspreisblasen rechtzeitig gewarnt hatte, nicht dieselbe Ansicht teilt. Der Yale-Professor sagt in einerm Interview mit FTD, dass eine Erholung der US-Wirtschaft seit März erstaunlich sei, aber so schnell keine neue Blase entstehe. Der gestiegene Risikoappetit und die hohe Welle von Liquidität zeigen jedoch andererseits, dass die ausländischen institutionellen Investitionen seit März nach Asien einen Boom erleben. Schnellere Erholung, starke Wachstumsaussichten und attraktive Vermögensmärkte sorgen laut RGE Monitor weiter für Kapitalzuflüsse in die asiatische Region. Vor diesem Hintergrund rückt das rasante Wachstum der Kreditvergabe in China in den Mittelpunkt des Interesses. Das Augenmerk gilt insbesondere dem enormen Umfang fauler Darlehen in den Büchern chinesischer Banken. Die grossen Staatsbanken brauchen dringend mehr Eigenkapital. Chinas kreditfinanziertes Wachstum dürfte demnächst zur Büchse der Pandora für die globalen Finanzmärkte werden.

Montag, 23. November 2009

Bank of Israel beschliesst Zinserhöhung

Die Bank of Israel (BoI) hat auf ihrer Sitzung am heutigen Nachmittag überraschend ihren Leitzins um 0,25% auf 1,0% erhöht. Der BoI-Gouverneur Stanley Fischer hat damit die Zinsen zum zweiten Mal in den vergangenen drei Monaten angehoben. Die Inflation ist im Oktober auf 2,9% gestiegen. Der Schekel hat sich nach Bekanntgabe des Zinsentscheids dem US Dollar gegenüber auf 3,7723 $ aufgewertet. Die wichtigsten Überlegungen, die hinter der Zinsentscheidung stehen, sind:


BoI Benchmark Interest Rate, Graph: Bloomberg.com

(1) Die Inflation betrug in den vergangenen 12 Monaten 2,9%. In den kommenden Monaten wird erwartet, dass sie über dem oberen Bereich der Zielmarke liegen wird, obwohl dies den Effekten vom Anstieg der Steuersätze und der von der Regierung überwachten Preise zuzuschreiben ist. Die Inflationserwartungen (für ein Jahr) sind jedoch im letzten Monat moderat angestiegen. Und sie liegen im oberen Bereich der Zielmarke, obwohl sie die Erwartungen im Hinblick auf steigende Zinsen im nächsten Jahr bereits enthalten.

(2) Die Entscheidung, die Zinsen um 25 Basispunkte anzuheben, wird helfen, die Inflation im kommenden Jahr innerhalb des Zielbandes zu etablieren.

(3) Die volkswirtschaftlichen Daten vom III. Quartal zeigen eine Wiederbelebung der Wirtschaftsaktivitäten: Ein signifikanter Anstieg der Konsumausgaben, der Ausfuhren und Investitionen. Die Zunahme der Exporten Israels war durch die Wiederaufnahme des Welthandels gestützt.

(4) Die Zinssätze der führenden Zentralbanken um die Welt sind niedrig und werden während der kommenden Monaten erwartungsgemäss so verbleiben. Die Fed und die EZB haben jedoch laut BoI angefangen, Schritte in Richtung eines allmählichen Ausstiegs aus der unkonventionellen Geldpolitik zu tun. In einigen Ländern, in den die Erholung sich festsetzt, sind die Zinsen bereits erhöht worden.


Israel CPI October, Graph: Bloomberg.com

Gespenst der Inflation

Populistische Politiker (v.a. Centristen im Senat) und Mainstreamökonomen tun derzeit so, als ob das Gespenst der Inflation wiederauferstehen würde. Sie argumentieren, dass die Defizite in den öffentlichen Haushalten sofort zurückgefahren werden müssen. Es bestehe sonst die Gefahr, dass die Zinsen demnächst durch die Decke schiessen, warnen sie. Es ist zwar verständlich, dass die Angst in einer Krise um sich greift. Aber es gibt derzeit keinen Anlass, sich Sorgen über die Zinsen im Hinblick auf die Staatsverschuldung zu machen. Franklin Delano Roosevelt (FDR) hatte 1933 in einer Zeit der Depression gesagt: „Das Einzige, wovor wir Angst haben müssen, ist die Angst selbst“. Zur Zeit ist die Geldpolitik wirkungslos. Die Wirtschaft ist auf den Staat angewiesen. Woher sollen die Impulse kommen, wenn die Privatwirtschaft immer noch mit den Schuldenabbau (deleveraging) beschäftigt ist. Der Staat versucht daher mit deficit spending, die Nachfrage zu stützen.

Der fiskalische Stimulus war zu wenig und wird im kommenden Jahr verblassen, schreibt Paul Krugman in seiner Montagskolumne in The New York Times. Das grösste Risiko für die Erholung der Wirtschaft ist die Unzulänglichkeit in den Bemühungen der Regierung, erklärt Krugman. Er verweist auf zwei Beispiele: (1) Ein starker Anstieg der Zinsen erfolgte zuletzt im Jahr 1994. Damals hat die US-Wirtschaft monatlich 300'000 neue Stellen geschaffen und die Fed war dran, die Leitzinsen anzuheben. Es gibt daher keine Ähnlichkeiten zu der Situation von heute: Die Arbeitslosenquote steigt und die Fed will noch eine lange Weile die Zinsen unverändert belassen. (2) Der Fall Japan in den 1990er Jahren zeigt, dass hohe Staatsschulden keineswegs zu hohen Zinsen führen.

Fazit: "Es ist viel riskanter, zu wenig zu tun, als zu viel zu tun. Die Regierung scheint diese Wahrheit aus den Augen verloren zu haben", schlussfolgert Krugman. Der Staat soll also mit grösseren Ausgabeprogrammen dagegensteuern.

Sonntag, 22. November 2009

Eigentum verpflichtet: Wann ist genug in Wirklichkeit genug?

Was hält eigentlich John Maynard Keynes von der Gier der Banker und deren Bonusexzesse? Was würde er heute im Sog des öffentlichen Zorns gegen die Ausbeutung der knappen Ressourcen im Streben nach Wirtschaftswachstum und Anhäufung von Reichtum um jeden Preis sagen? Keynes hat sich dieses Themas bereits im Jahre 1930 angenommen, bemerkt Robert Skidelsky in einem lesenswerten Essay in Project Syndicate. In einem Artikel, den Keynes mit dem Titel „Die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ geschrieben hat, habe der grosse Ökonom prognostiziert, dass „in 100 Jahren (also bis 2030) das Wachstum in den Industrieländern praktisch zum Erliegen kommen werde, weil die Menschen dann genug haben würden, um ein gutes Leben zu führen“, zitiert Skidelsky den Keynes.

Die tägliche Arbeitszeit würde auf drei Stunden reduziert. Es gäbe also eine 15-Stunden Woche. Keynes’ Prognose habe laut Skidelsky auf der Annahme basiert, dass bei einem jährlichen Anstieg des Kapitals um 2%, einem Produktionsanstieg um 1% und bei stabilen Bevölkerungszahlen, der durchschnittliche Lebensstandard um das 8-fache steigen würde. Nach Skidelsky’s Berechnungen habe das Pro-Kopf-BIP in Grossbritannien in den späten 1920er Jahren (vor dem Crash 1929) 5'800 Euro betragen, im Geldwert von heute. Entsprechend habe Keynes geschätzt, dass ein Pro-Kopf-BIP von etwa 44'000 Euro für die Menschen „genug“ wäre, um sich angenehmeren Dingen zuzuwenden. 80 Jahre danach hat sich die entwickelte Welt den Zielen von Keynes angenähert, hält Skidelsky fest. Im Jahre 2007 (vor dem Crash) betrug das Pro-Kopf-BIP in den USA umgerechnet 31'500 Euro und in GB knapp 31'000 Euro. Das heisst, dass es in GB seit 1930 eine Verfünffachung des Lebensstandards gegeben hat, rechnet Skidelsky aus, trotz Verzerrungen bei Keynes’ Annahmen, dass es z.B. keine grosse Kriege und kein Bevölkerungswachstum gäbe. In GB ist die Einwohnerzahl heute um 33% höher als 1930. Der Grund für die positive Entwicklung liegt darin, dass das jährliche Produktivitätswachstum höher ausfiel als von Keynes prognostiziert: etwa 1,6% in GB und etwas höher in den USA. Es ist allerdings unwahrscheinlich, schreibt Skidelsky, dass die Erreichung dieses Ziels „die unstillbare Jagd nach noch mehr Geld beenden wird“. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass es kein Wachstum mehr geben wird, ausser die Natur sorgt dafür, hebt der emeritierte Wirtschaftsprofessor an der University of Warwick, England hervor. Keynes habe laut Skidelsky den sozialen Charakter von Arbeit nicht gänzlich ausser Acht gelassen. „Es wird vernünftig bleiben, ökonomisch zweckhaft für andere zu sein“, habe er geschrieben. Die Reichen hätten die Pflicht, den Armen zu helfen. „Die Anhäufung von Wohlstand, der die Grundlage für ein gutes Leben bilden sollte, wird zum Selbstzweck, weil er viele jener Dinge zerstört, die das Leben lebenswert machen. Über einen gewissen Punkt hinaus bietet die Anhäufung von Reichtümern nur mehr Ersatzbefriedigung für die realen Verluste im Bereich menschlicher Beziehungen“, schlussfolgert Skidelsky.

Fed und AIG: Barofsky Bericht

Der Bericht ist unbedingt zu lesen, für jeden Steuerzahler, der verstehen will, warum die Rettungsaktion im Wert von 182 Mrd. $ für den einst grössten Versicherungskonzern der Welt rangmässig die störendste Episode des Finanzdesasters bildet, schreibt Gretchen Morgenson in einem langen lesenswerten Artikel in NYT. Der Erscheinungsmoment des Berichts hätte nicht brisanter sein können, kommentiert Frau Morgenson weiter. Viele in Washington wollen die US-Notenbank (Fed) mit mehr regulatorischen Befugnissen ausstatten, v.a. der Bankenregulierung, welche den Bailout Fund für die AIG organisiert hat. Im Bericht wird vermerkt, dass die Fed versagt habe, einen durchführbaren Rettungsplan zu entwickeln, als die AIG mit Nachfrage überflutet wurde, hochdotierte Versicherungsverträge zu unterzeichnen, obwohl die Wirtschaft währenddessen zu schwanken begann.

Die Fed habe ihre Macht und ihr Ansehen nicht genutzt, von der AIG Zugeständnisse einzufordern, steht im Bericht zu lesen. Die Fed habe die Rolle der Gegenpartei übernommen und den Banken an Stelle von AIG für jede 100 Cents einen Dollar ausbezahlt. Neil Barofsky schreibt im Bericht, dass die Banken das Geld nicht bekommen hätten, wenn die AIG pleitegegangen wäre. Die Fed hatte sich am Anfang geweigert, die Namen und die Einzelheiten der Gutschriften für die Gegenparteien offenzulegen, mit der Begründung, dass dadurch die Stabilitität des Versicherungsunternehmens gefährt wäre. Schliesslich stösst Barofsky Löcher in den Argumenten, die in den vergangenen 14 Monaten durch Goldman Sachs, dem grössten Handelspartner von AIG und Empfänger von 12,9 Mrd. $ aus dem Rettungsfonds, gemacht wurden: Im Falle eines Defaults von AIG hätte Goldman Sachs kein materielles Risiko und Schaden erlitten, behauptet Bericht. Es gibt ein schreckliches Los in dem 36 Seiten umfassenden Bericht, hält Morgenson fest. Barofsky’ Büro hat 65 Fälle geöffnet, um möglichen Betrug in den verschiedenen Bailout Programmen nachzuforschen.

In Eile, die Finanzreform sofort wirksam werden zu lassen, scheint der Kongress nicht interessiert an Untersuchung und Festhaltung von Wahrheiten, die in Berichten wie diesem enthalten sind, klagt Morgenson. Solange dem so ist, bleibe das Wirtschafts- und Finanzsystem in Gefahr, zieht die erfahrene Journalisten den Schluss.

Wirtschaftliche Erholung: Spielt sie sich im Kopf ab?

Die hohen Quartalsgewinne, die gerade von Banken vorgewiesen werden und die übermässigen Vergütungen erwecken den Eindruck, als ob die Wirtschaft sich seit März wieder zu erholen beginnt. Neben dem fiskalischen Stimulus und staatlichen Rettungsaktionen scheint sich die anbahnende Erholung der Wirtschaft viel mehr auf eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu beruhen, bemerkt Robert Shiller in einem interessanten Essay in New York Times von Sonntag. „Betrachten Sie die Möglichkeit: Nach all den Monaten beginnen die Menschen zu denken, dass es Zeit ist, dass die Rezession zu Ende geht. Mit dem Gedanken beginnt das Vertrauen sich wieder zu bilden. Und manche Menschen fangen erneut an, Geld auszugeben, was wiederum Anzeichen für eine Erholung sichtbar macht. Das mag absurd erscheinen, aber es wird nur selten als Erklärung für das Massenverhalten von Menschen spät einer Rezession erwähnt. Aber Wirtschaftstheoretiker waren von solch einer Möglichkeit seit langem fasziniert“, erläutert Wirtschaftsprofessor an der Yale Universität.

Der Begriff sei nicht weit hergeholt, so Shiller. „Wir wissen alle, dass Rezessionen i.d.R. nicht mehr als ein paar Jahre dauern. Die derzeitige Rezession begann nach Angaben von National Bureau of Economic Research (NBER) im Dezember 2007, sodass sie nun fast zwei Jahre alt ist. Nach dem Standard-Programm ist die Erholung also fällt“, hält der Autor des Bestellers „Animal Spirits“ fest. Angesichts dieser Erkenntnisse dürfte der Verlauf der Zeit das Vertrauen anspornen, obwohl keine statistische Analyse dies belegen kann, hebt Shiller hervor. Prof. Shiller ist bekanntlich ein eifriger Kritiker der Theorie von vollkommenen Märkten. Shiller’s Ansicht nach hängen wirtschaftliche Entscheidungen stark von Erzählungen (Geschichten), Stimmungen und Emotionen ab. Es kommt also laut Shiller auf einen Umschwung der Stimmung an, wie schnell das Vertrauen wieder entsteht und es dann zu einer Erholung der Wirtschaft führt.

Es gebe Zweifel daran, so Shiller, dass das aktuelle Ereignis ein weiteres Beispiel in der langen Reihe von Rezessionen sei. „In welche Kategorie fällt aber der gegenwärtige Abschwung: Rezession oder Depression?“. Wir mögen jetzt an einem Wendepunkt sein“, erklärt Shiller. Es gebe ein Argument für anhaltende Wachsamkeit, sicherzustellen, soweit die Theorie der sich selbsterfüllenden Prophezeiung korrekt ist, dass unerwünschte Ereignisse nicht weit verbreitete Gespräche über die zweite Kategorie anregen, maht Shiller an.

Samstag, 21. November 2009

SIGTARP: Der AIG-Bericht (II)

Der aktuelle Bericht des Generalinspektors Neil Barofsky für das staatliche Bankenrettungsprogramm TARP hat erstaunlicherweise nicht auf ein grosses Echo gestossen. Nur weil vieles im Vorfeld ohnehin bereits bekannt war? Das kann doch nicht sein. Es geht schliesslich um mehr als 700 Mrd. $, die quasi als Geschenk an Grossbanken und das unfähige Management der betreffenden Banken, welche Mist gebaut haben, verteilt wurden. Und die Wirtschaft steckt heute nach wie vor in einer desolaten Lage. Paul Krugman befasst sich in seiner Kolumne in NYT vom Freitag noch einmal mit der Rettungsaktion der AIG von 2008. Der Kern des Berichts ist, dass die Regierungsbeamten nicht einmal den Versuch unternommen haben, von den Banken Zugeständnisse herauszuholen, hält er fest.

Alle Grossbanken, welche hochspekulaltive Wertschriften (sog. „toxic assets“) gekauft haben, haben sich mit CDS (Credit Default Swaps) gegen den Zahlungsausfall bei AIG, dem Versicherungsunternehmen versichert. Die Banken haben dem Versicherer jedes Vierteljahr eine Prämie für das Risiko einbezahlt. Die AIG war aber am Schluss nicht in der Lage, die Käufer von CDS (Derivate, d.h. abgeleitete Produkte) zu kompensieren. Die Steuerzahler haben dann die vereinbarten Summen, obwohl Swaps ein Nullsummenspiel sind, jeweils an die Grossbanken überweisen müssen.

Warum werden aber Banker vor den Folgen ihrer eigenen Fehler geschützt, fragt Krugman. Grund: „too interconnected“. Das globale Finanzsystem stand vor der Kernschmelze. AIG nicht zu retten, würde bedeuten, das Finanzsystem über den Abgrund fallen zu lassen. Also wurden Versprechen der AIG zu Verpflichtungen der Steuerzahler umgewandelt.

Gab es aber keinen Weg, die Verpflichtungen bzw. die Belastungen für die Steuerzahler zu reduzieren, fragt Krugman weiter. Die Grossbanken waren nicht bereit, „haircut“ zu akzeptieren. Ende der Story.

Wäre das Ganze aber nicht anders verlaufen, fragt Krugman nochmals. Manche Kommentatoren meinen, dass die Banken sich niemals auf ein „haircut“ eingelassen hätten, unabhängig davon, was die Behörden gefordert hätten. „Das ist aber eine naive Sicht von der Art und Weise, wie die Wall Street funktioniert“, schreibt Krugman. Die Bear Stearns hatte bei der Rettungsaktion von LTCM von 1998 jede Mithilfe geweigert. Es wird daher angenommen, dass die Bear Stearns zehn Jahr später deswegen vor dem Scheitern nicht gerettet worden ist. „Die Regierungsbeamten hätten also die Banker zu einem besseren Deal aufrufen können, indem sie zugleich gedroht und das Kind beim richtigen Namen genannt hätten, falls manche sich weigern würden, mitzumachen“, bemerkt Krugman. „Die scheinbar sichere Wahl, die die Behörden getroffen haben, hat aber inzwischen die Wirtschaft in eine ernsthafte Gefahr gebracht“, erläutert Krugman. Es bedarf mehr staatlicher Hilfe. Die Banken sind nach wie vor schwach. Das Kreditwesen ist straff. Der Finanzsektor erwartet verzweifelt mehr Regierungshilfe, hebt Krugman hervor. Die Behörden haben v.a. Vertrauen verspielt, schlussfolgert Nobelpreisträger für Wirtschaft.

SNB: Das geldpolitische Konzept

Jean-Pierre Roth, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hat am Freitag in einer Rede an der Uni Freiburg eine positive Bilanz des geldpolitischen Konzepts der SNB gezogen. Die Preisstabilität habe gewährleistet werden können, betonte Roth.

Das geldpolitische Konzept der SNB besteht (1) aus Inflationsprognose, die vierteljährlich stattfindet, und weitgehend in ein internationales Konjunkturszenario eingebettet ist und (2) aus Definition der Preisstabilitität. Das bedeutet ein Anstieg des Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) von weniger als 2% pro Jahr und (3) aus Zielband 3-Monats-Libor. Ein operationelles Ziel in Form eines Zielbandes für den 3M-Libor des CHF.


CPI and Real GDP, Graph: Jean-Pierre Roth, SNB, Nov 20, 2009


CHF Exchange Rate, Graph: Jean-Pierre Roth, SNB, Nov 20, 2009

US-Bankpleiten: Anzahl steigt auf 124

Die Behörden haben am Freitag laut Washington Post eine Bank (Vermögen: 79,7 Mio. $ und Kundeneinlagen: 76,7 Mio. $) in Florida geschlossen. Damit ist die Anzahl der Banken, die 2009 im Zuge der Krise dichtgemacht haben, auf 124 gestiegen. Das ist der höchste Wert seit 1992. Die FDIC versucht das Vermögen der Bank zu verkaufen und deckt zugleich die Einlagen der Sparer. Die Einlagen der Sparer sind bis zu 250'000 $ pro Konto geschützt.

Der Fonds der Behörde ist vor rund zwei Monaten ins Minus gerutscht. Die FDIC hat vergangene Woche erstmals die von ihr regulierten ca. 8'100 Banken gebeten, die die Gebühren für die nächsten 3 Jahre im Voraus zu zahlen. Auf diese Weise will die FDIC 45 Mrd. $ einnehmen. Die Banken zahlen an die FDIC 12 bis 16 Cents pro 100 $ Kundeneinlagen.

Bankpleiten:
2009: 124 Banken
2008: 25
2007: 3

Die Kosten der Schliessung der Commerce Bank of Southwest vom Freitag belaufen sich nach Einschätzung der FDIC auf 23,6 Mio. $ für die öffentliche Hand. Die FDIC schätzt die Kosten, die aus Bankpleiten herrühren, auf rund 100 Mrd. $ für die kommenden vier Jahre.

Freitag, 20. November 2009

Bond Vigilantes: Neue Herausforderung am Anleihemarkt?

Anknüpfend daran, dass die Renditen am kurzen Ende der Ertragskurve gestern negativ wurden, wird die Frage interessanter als je zuvor, ob und wann die Gefahr einer double-dip Rezession droht: (a) Wenn die Regierung das Haushaltsdefizit bald nicht abbaut?, oder (b) Wenn die Regierung die Konjunkturstützungsmassnahmen nicht weiter verstärkt (z.B. durch tax credit, Beschäftigugnsprogramme usw.)? Die Anleihenmärkte scheinen wegen des zunehmenden Defizits im Haushalt nicht besorgt zu sein, bemerkt Paul Krugman zu recht in seinem Blog. Denn (1) die Zinsen am langen Ende der Kurve sind nach wie niedrig. Die Regierung kann ja zu weniger als 3,5% (historisch tiefen Konditionen) Kapital beschaffen, und (2) die langfristigen Inflationserwartungen bleiben verankert.


3-Month Bill, Graph: Bloomberg.com

Fazit: Das Faktum, dass die Staatshaushalte in der industrialisierten Welt zunehmen, lässt die Kapitalmärkte kalt. Die Zinsen am langen Ende verbleiben niedrig. Krugman wundert sich daher, wie das Ökonomen-Team der Obama-Regierung sich besorgt über eine double-dip Rezession zeigen kann. „Es ist wirklich erstaunlich", schreibt Krugman. Es sei eine Sache, sich von Anleihenmarkt-Vigilantes einschüchtern zu lassen. Es ist eine andere Sache, sich vor Angst davor, mit „Vigilantes“ der Anleihemärkte konfrontiert zu werden, einschüchtern zu lassen“, so Krugman. Das US-Schatzamt hat tatsächlich keine Mühe, sich günstig zu verschulden. Vergangene Woche emittierte das Finanzministerium US-Treasuries im Volumen von 81 Mrd. $. Nächste Woche stehen weitere Anleihen im Wert von 118 Mrd. $ (2-, 5- und 7-jährige UST) zur Versteigerung an.


2-Year UST, Graph: Bloomberg.com

Unter Bond Market Vigilantes ist die Reaktion (bzw. „Bürgerwehr“) der Anleihenmärkte zu verstehen, und zwar in Form von Forderung höherer Zinsen, weil ein Anstieg der Inflation erwartet wird. Das ist aber heute nicht der Fall, wie oben erläutert. Dazu mehr in diesem Blog hier:

Negative Renditen am kurzen Ende

Die Renditen der T-Bills mit einer Laufzeit von 3 Monaten (Januar 2010) drehten gestern erstmals seit dem Einfrieren der Kreditmärkte im vergangenen Jahr wieder ins Negative. Die Renditen wurden im vergangenen Dezember zum ersten Mal negativ, als Investoren nach der Lehman-Pleite in Massen in den sicheren Hafen von US-Staatsanleihen geflüchtet waren. Nach Nouriel Roubini warnt nun auch Bill Gross von Pimco vor der Gefahr einer weltweiten Vermögensblase. Die Fed versuche, die Wirtschaft anzukurbeln (reflate). Der Reflationierungsprozess habe zur Folge, dass die kurzfristigen Zinsen auf einer schmerzlichen Ebene verharren, sodass Anleger gezwungen oder dazu verführt werden, ihre kurzfristige Liquidität in risikoreiche Anleihen oder Aktien anzulegen.


3-Month Bill, Graph: wsj.com

Andererseits hat der Zusammenbruch der Renditen am kurzen Ende mit den üblicherweise am Jahresende zunehmenden Aktivitäten der Marktteilnehmer zu tun. Die Bücher werden geschlossen. Es ist Zeit für „Window Dressing“. Profitable Geschäfte werden abgewickelt. Es gibt keine Investmentbanken mehr. Das spielt auch eine wichtige Rolle. Der De-Leveraging-Prozess löst viel Cash aus. Das Geld muss irgendwo geparkt werden. Niemand will es schliesslich unter der Matratze halten, zumal die Fed die Leitzinsen noch eine lange Zeit („extended period“) unverändert belassen dürfte.


2-Year Note, Graph: wsj.com

Donnerstag, 19. November 2009

Türkische Zentralbank senkt Leitzins auf 6,50 Prozent

Die türkische Zentralbank (CBT) hat heute auf ihrer 11. regulären Sitzung des Jahres ihre Leitzinsen auf ein weiteres Allzeit-Tief gesenkt. Der Tagesgeldeinlagensatz (overnight borrowing rate) wurde um 25 Basispunkte von 6,75% auf 6,50% zurückgeschraubt. Die CBT hat auch den Tagesgeldausleihsatz (overnight lending rate) von 9,25% auf 9,00% reduziert. Damit haben die türkischen Währungshüter die Leitzinsen in den vergangenen 12 Monaten angesichts der anhaltenden Weltwirtschaftskrise und der Nachfrageschwäche um insgesamt 1025 Basispunkte gesenkt. Der Leitzins beträgt nun real null Prozent.


CBT O/N Borrowing Rate, Graph: CBT

Der geldpolitische Ausschuss der türkischen Zentralbank begründete den heutigen Zinsentscheid damit, dass die jüngsten Daten (im Einklang mit den früheren Bewertungen des Ausschusses) auf eine schrittweise und langwierige Erholung der wirtschaftlichen Aktivitäten hindeuten. Die Auslandnachfrage und die Binnennachfrage nach Investitionsgütern bleiben schwach, so die Notenbanker. Die Konsumnachfrage verfolge einen schwachen Kurs, nachdem sich dieser im vergangenen Quartal deutlich erhöht hat. Indikatoren zum Arbeitsmarkt legen nahe, dass es eine lange Zeit anhalten dürfte, bis sich die Konditionen für die Beschäftigungslage verbessern, teilte die CBT mit. Der geldpolitische Ausschuss bekräftigt ferner, dass es notwendig ist, für die Geldpolitik die Neigung zur Lockerung der Zinsen („easing bias“) beizubehalten. Die künftigen Zinsentscheidungen werden laut Ausschuss von der Entwicklung der Wirtschaft abhängen. Bemerkenswert ist jedoch, dass, während der Text mehr oder weniger unverändert belassen wurde, die Betonung des Wortes „cut" (senken) im Satz „die künftigen Zinsentscheidungen“ fehlt.

US-Dollar/TRY: 1,4933
Euro/TRY: 2,2262
CHF/TRY: 1,4728.

Politische Implikationen der Finanzkrise

Das Schlimmste der Krise ist hinter uns, verkündete Philipp Hildebrand gestern in einer interessanten Rede an der Uni Genf. Banken generieren wieder Gewinne. In manchen Fällen sind die Profite wesentlich und eindeutig auf die öffentliche Stützungsmassnahmen zurückzuführen. Der Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) warnt aber in diesem Zusammenhang vor der Gefahr der Selbstgefälligkeit, welche die Spielregeln bestimmen. „Das dürfen wir nicht passieren lassen“, so Hildebrand. Er fordert die renommierten Banken auf, um eines langfristigen und weniger volatilen globalen Bankwesens sowie ökonomischen Wachstumsmodells willen Reformschritte zu unterstützen.

Im Hinblick auf die „too big to fail“-Problematik seien jedoch politische Entscheidungen notwendig. Das Thema sei entscheidend, so Hildebrand. Würde das Problem nicht angemessen angegangen, wäre die Folgen im Falle einer künftigen Krise schwerwiegend. Die Politiker müssen sich hierbei engagieren. Je früher, desto besser, so der Vize-Präsident der SNB. Solange die Banken staatliche Unterstützung erwarten, wird die Marktdisziplin untergraben werden. Das Moral-Hazard-Problem werde durch das Faktum verschärft, dass es keine Zweideutigkeit über die Bereitschaft der öffentlichen Hand gebe, die Banken zu retten, hält Hildebrand fest. In einer freien Marktwirtschaft müsse per Definitionem erlaubt sein, bei exzessivem Risikoverhalten und Fehlentscheiden des Managements Unternehmen fallen zu lassen.

Exkurs
Philipp Hildebrand (SNB) zum Thema Contingent Capital (CoCo-Bonds): (*)

„Das Contingent Capital mag eine Rolle spielen, indem es in der Tat im voraus ein debt-to-equity swap Verfahren definiert. Damit aber eine Contingent Capital Struktur wirksam wird, ist es entscheidend, dass das umzuwandelnde Kapital dem echten, den Verlust abdeckenden Kernkapital gleichwertig ist und eine genaue Definition des Ereignisses festgelegt wird, was die Umwandlung auslöst. Der Basler Ausschuss und das FSB haben sich verpflichtet, dies zu überprüfen“.

(*): von mir frei übersetzt vom Englischen.

TARP: Was hat der Bailout-Fund geleistet?

Gegen Ende September 2008 hat Henry Paulson, der damalige US-Finanzminister den Kongress um einen Bailout Fund in der Grössenordnung von 700 Mrd. $ gebeten. Damit war zugleich eine „Anfrage“ von Paulson verbunden, bei der Handhabung des Funds über bedingungslose Befugnisse zu verfügen, und vollkommmen frei vor dem juristischen Zugriff zu sein. Der TARP hat die Aufgabe, der Finanzbranche die notleidenden Vermögenswerte (v.a. mit faulen hypothekenbesicherten Wertpapiere; die sog. Toxic Assets) abzukaufen, um auf diese Weise den zugefrorenen Kreditmarkt wieder zum Auftauen zu bringen. Am 3. Oktober wurde der TARP vom Kongress abgesegnet. Simon Johnson bewertet nun ein Jahr danach die Performance von TARP (Troubled Asset Relief Program) in einem lesenswerten Essay in New York Times. Er schreibt, dass die USA im allgemeinen gut auf die Krise reagiert haben, was v.a. die Verhinderung des Zusammenbruchs der Ausgaben im Inland betrifft.

Die Geldpolitik habe schnell und angemessen reagiert. Auch der Fiskalpolitik sei es trotz der Kontraktion am Kreditmarkt und des Anstiegs der Arbeitslosigkeit gelungen, nach anfänglichem Zögern die privaten Ausgaben am Leben zu erhalten. Daher „ist es keine Frage, dass der TARP ein wesentliches Element war, das Vertrauen wiederherzustellen“, bemerkt der frühere Chef-Ökonom von IWF. Süffisant verweist er aber darauf, dass jedes Land, welches eine unlimierte staatliche Förderung des Finanzsystems zulässt, ohne ein ordentliches Abwicklungsverfahren für insolvente grosse Finanzunternehmen zu entwickeln, und zugleich eine seriöse Governance-Reform und „downsizing“ von in Schieflage geratenenen Grossbanken ablehnt, von den USA angeprangert und vom IWF unter Druck gesetzt werden würde. Im Mittelpunkt jeder Krise sei ein politisches Problem. Mächtige Leute und Unternehmen, die sie steuern, sind ausser Kontrolle geraten, erklärt Johnson. Sofern dies nicht im Rahmen des Stabilisierungsprogramms steht, hat die Regierung alles getan, eine Rettungsaktion ohne Konditionen zu lancieren. Das mag mit einer kurzfristigen Erholung im Einklang stehen. Es schafft aber erhebliche Probleme für die Nachhaltigkeit des Aufschwungs und die mittlere Sicht. Seriöse Länder tun das nicht, hält Johnson fest. In diesem Sinne lässt der TARP viel zu wünschen übrig, urteilt Wirtschaftsprofessor. Der Stress-Test der Obama-Regierung habe dann die offizielle Bestimmung geliefert, dass die Grossbanken nicht über zu wenig Kapital verfügen. Auf diese Weise habe die Regierung bestätigt, dass sie eine Strategie der nachsichtigen Regulierung verfolgt. Die Existenz von TARP mache in diesem Zusammenhang diesen Ansatz glaubwürdig. Aber der Grundstein der Strategie sei die vorbehaltlose Kreditvergabe der Fed an die Banken. Im Ergebnis bleiben die grössten Banken angesichts der Flugbahn der amerikanischen und der globalen Wirtschaft unterkapitalisiert, schlussfolgert Johnson. Dies sei ein ernsthaftes Hindernis für eine nachhaltige Erholung der Realwirtschaft, was sich bereits im restriktiven Kreditwesen für klein- und mittelgrosse Unternehmen widerspiegele. Noch problematischer sei der Anreiz, übermässige Risiken einzugehen, während das Verlustrisiko durch grosszügige staatliche Garantien in verschiedener Art begrenzt sei. Die Implementierung des TARP habe die Wahrnehmung, dass manche Banken „too big to fail“ (TBTF) sind, verschlimmert. Die Folgen tragen die Steuerzahler und der Arbeitsmarkt.

Vor dem Aufsichtspanel des Kongresses treten neben Simon Johnson, Mark Zandi, Dean Baker, Charles Calomiris und Alex Pollock auf.

US-Verbraucherpreise im Oktober

Die amerikanische Staatsverschuldung ist zum ersten Mal auf mehr als 12 Mrd. $ geklettert. Die Regierung erhöhte das Defizit, um die Nachfrage zu stützen. Viele Mainstream-Ökonomen warnen vor der Gefahr einer Hyperinflation. Wie sehen die aktuellen Inflationszahlen aus? Im Oktober ist der Konsumentenpreisindex (CPI) gegenüber September um 0,3% gestiegen. Annualisiert beträft die Inflation Minus 0,2%. Die Kernrate belief sich im Oktober auf 0,2%. Annualisiert beträgt sie 1,7%. Hier ist die graphische Abbildung des Inflationsverlaufs seit einem Jahr.


CPI, Oct 2009, 1-month % Change, Graph: Bureau of Labor Statistics (BLS), Nov 2009

Der Energie-Index kletterte im Oktober um 1,5%, nach 0,6% im September. Der Index für Heizöl stieg um 6,3%. Der Index für Nahrungsmittel legte im Oktober um 0,1% zu, nachdem dieser in zwei von drei vergangenen Monaten gesunken war. Die Wende in der Geldpolitik dürfe noch lange auf sich warten lassen.


CPI, Oct 2009, 12-month % Change, Graph: Bureau of Labor Statistics (BLS), Nov 2009
rote Linie : Kernrate (d.h. ohne Nahrungsmittel und Energie), blaue Linie : Verbraucherpreise (insgesamt)