Freitag, 18. Juni 2010

Festlegung von Insolvenz-Szenarien: Anreize und Regulierung

Eine zentrale Idee der Finanzreform in den anhaltenden Verhandlungen sowohl in den USA als auch in Europa ist, dass die grossen Banken Insolvenz-Szenarien („living wills“) ausarbeiten sollen, welche sehr detailliert aufzuzeigen hätten, wie im Falle eines Ausfalls in Zukunft vorzugehen ist, schreibt Simon Johnson in einem lesenswerten Essay („Why Living Wills Fail“) in NYT. Theoretisch ist das Konzept attraktiv. Niemand kennt das Geschäft der Banken als die Banken selbst, so Johnson. Sie sollten die Verantwortung dafür tragen, wie sie verschiedene Tätigkeiten schliessen und welche wertvolle Teile bei gleichzeitiger Begrenzung der Verluste für unrentable Aktivitäten verkauft werden könnten. Das wird als „smart regulation“ präsentiert, erklärt der ehem. Chefökonom des IWF.

Die Sitzung der Untersuchungsausschusses für Energie und Umwelt am Dienstag hat es ans Licht gebracht, dass die Festlegung von Insolvenz-Szenarien („living wills“) in der Praxis nicht funktionieren, argumentiert Johnson. Die Anhörung war eigentlich über die Ölindustrie. Der Ausschuss hat die Reaktionspläne von fünf Unternehmen (BP, Chevron, ConocoPhilips, Exxon Mobil und Shell) auf die Ölpest im Golf von Mexiko bekanntgemacht. Alle haben auffällige, eigenartige und befremdliche Ähnlichkeiten. „Die Glanzpapier und Fotos sind verschieden. Aber es stellt sich heraus, dass alle Pläne vom gleichen Zulieferer geschrieben worden sind. Alle enthalten einige alberne Details, darunter Walrosse, Seelöwen und Robben zu schützen, die eigentlich gar nicht in der Golf Region leben“, beschreibt Wirtschaftsprofessor an der MIT Sloan. Angesichts des offenbar völligen Versagens von BP auf Deepwater Horizon scheint es, dass keines der grossen Ölkonzerne für solche Ereignisse vorbereitet sind. Es gibt drei Wege, um über dieses Problem im allgemeinen nachzudenken, hält Johnson fest: (1) Die Regulierungsbehörden hätten eine bessere Arbeit leisten sollen, indem sie nach mehr Einzelheiten gefragt hätten. Aber die technische Kompetenz und die hoch bezahlten Experten sind im privaten Sektor konzentriert, nicht im Staatsdienst, (2) Der private Sektor muss diese Art von Gefahr ernster nehmen. Natürlich ist dies sinnvoll. Aber der Job des privaten Sektors ist, Geld zu verdienen, nicht die Umwelt zu schützen oder sich Gedanken über die sozialen Kosten einer Kernschmelze an den Finanzmärkten zu machen, so Johnson. Begrenzte Zeithorizonte sind viel eher ein Problem in der Finanzbranche als im Ölsektor und bei den Bohrarbeiten. Aber die Asymmetrie der Vergütung (zwischen dem privaten und staatlichen Sektor) ist ganz parallel. Es ist unvernünftig, zu erwarten, dass der private Sektor die Probleme von selbst behebt. Die Ölindustrie würde dagegen kämpfen und politische Einsätze bereitstellen, um sich gegen strengere Regulierung zu widersetzen, und (3) Die Regierung muss auf höchter Ebene entscheiden, was zugelassen wird oder nicht, in Sachen riskantesten Aktivitäten. Die Bestrafung von politischen Entscheidungsträgern sollte ein wichtiger Bestandteil dessen sein, „wie wir glaubwürdig jede Verpflichtung zurückweisen, Megabanks zu unterstützen, wenn sie scheitern“, argumentiert Johnson weiter. „Schlimmer noch, wenn Sie solche Banken unterstützen, werden Sie bei den Wahlen mit Konsequenzen konfrontiert. Präsident Obama erfährt jetzt eine Art Gegenreaktion aus Jahren der „regulatory capture“ und des pathetischen Charakters der „living wills“ für gescheiterte Tiefsee Ölquellen. Wenn er fähig ist, mehr allgemeine Lehren daraus zu ziehen, was bei weitem nicht klar ist, wäre der Präsident gut beraten, auch andere Tätigkeiten, die einfach so gefährlich sind, wie unsere wiederholten Schwachstellen bei der Regulierung zeigen, zu betrachten. Wir wären nämlich besser dran, wenn wir diese verbieten würden (z.B. einige Arten von Drilling oder Existenz von grossen Banken)“, führt der Mitgründer des beliebten Wirtschaftsblogs The Baseline Scenario aus.

„Der Präsident erbte viele Probleme in Bezug auf Offshore-Bohrungen. Und wir haben seine volle Antwort auf die grundlegenden Fragen von Anreizen und Regulierung noch nicht gesehen. Am Ende des Tages wird der Präsident von den Wählern bewertet“, findet Johnson. In Bezug auf „Big Finance“ hat er aber reichlich Gelegenheit gehabt, den Machtmissbrauch der Konzerne zu begrenzen. Er hat stattdessen „business as usual“ und Illusionen wie „living wills“ vorgezogen, so Johnson.

Keine Kommentare: