Montag, 27. April 2015

Nur Deutschland kann den Euro retten

Buchbesprechung:

Heiner Flassbeck and Costas Lapavitsas: Nur Deutschland kann den Euro retten. Der letzte Akt beginnt. Westend Verlag, Frankfurt, 2015.


Seit der Lehman-Pleite sind mittlerweile sieben Jahre verstrichen. Europa hat es nicht geschafft, das Vor-Krisen-Produktionsniveau zu erreichen.

Die merkantilistische Politik der EWU flankiert durch die Austerität und Lohnmoderation hat Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit, Deflation und einen Aufstieg der rechtsextremistischen Parteien hervorgerufen.

Die bittere Bilanz zeigt, dass die soziale Gerechtigkeit ernstlich bedroht ist, eine umfassende Wohlfahrt der Gesellschaft abhanden geht. Der Kern der Eurozone steckt in einer Sackgasse im historischen Ausmass, heben Heiner Flassbeck and Costas Lapavitsas in diesem lesenswerten Buch mit Nachdruck hervor.

Die Orientierung an der neoliberalen Wirtschaftslehre mit verheerenden  Folgen ist der Grund, warum auch die EZB gescheitert ist.Die EZB hat unter der Regie von Jean-Claude Trichet 2011 in einer von Depression heimgesuchten Wirtschaft die Zinsen zweimal erhöht. Begründung: Die angeblich um die Ecke lauernde Inflationsgefahr.

Tatsache ist, dass sich die Inflation ohne Ausweitung der Geldmenge nicht beschleunigen kann. Daraus folgt aber nicht, dass jede Geldmengenausweitung zu einem Anstieg der Inflation führt. Die Geldmengenausweitung ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Beschleunigung der Inflation ist. Zumal die europäische Wirtschaft in einer Bilanz-Rezession steckt, wo es gilt, die Nachfragelücke zu füllen, während der Prozess des Schuldenabbaus (deleveraging) im Privatsektor anhält. Zur Erinnerung: Es war der Neoliberalismus,der als Ideologie des Finanzkapitalismus mit dem Streben nach Finanzprofiten eine hohe Verschuldung der Haushalte verursacht hat.

Doch die EZB hat sich sogar bis vor einem Jahr geweigert, in der EWU die Rolle des lender of last resort zu spielen. Die grundsätzlichen Fehler liegen im neoklassischen Verständnis der Ersparnisse, wie die Autoren weiter erläutern.

Wenn in schlechten Zeiten alle sparen (öffentliche Hand, private Haushalte und Unternehmen), dann sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wodurch auch die gesamten Ersparnisse abnehmen, weil der Verbrauch eingeschränkt und das Wirtschaftswachstum gedämpft wird. Was für einen einzelnen Haushalt sinnvoll ist, muss also nicht unbedingt der gesamten Wirtschaft zugute kommen. Das ist das sog. Sparparadoxon.

Doch Wolfgang Schäuble hat vor zwei Wochen in einem wunderlichen Meinungsartikel in NYTimes erneut bekräftigt, dass die Austerität zu Vertrauen führe, und Vertrauen Wachstum schaffe. Sollte es nicht funktionieren, liege es daran, dass das betreffende Land es nicht richtig anpacke. Das ist natürlich Quatsch oder höflich formuliert „eine pauschale Verneinung all dessen, was wir über die Volkswirtschaft wissen“ , wie Paul Krugman kurz danach darauf (wiederum in NYTimes) geantwortet hat.

Die europäische Austeritätspolitik hat zu einem dramatischen Schwund der Inlandsnachfrage geführt. Die durch die deutsche Politik der Lohnmoderation verursachte Divergenz der Lohnstückkosten hat die Situation so verschlimmert, dass der Rest der Eurozone v.a. an der Peripherie gezwungen wurde, um den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnsenkungen und Sozialabbau wieder auszugleichen.



Lohnstückkosten in der Eurozone, Graph: Prof. Heiner Flassbeck in: flassbeck-economics, März 2015

Die entscheidende Frage ist, wie lange die Demokratie funktionieren kann, wenn eine Regierung nach der anderen die Fähigkeit einbüsst, die Wirtschaft zu stimulieren und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen?

Die Autoren nehmen vor diesem Hintergrund kein Blatt vor den Mund, zu unterstreichen, dass die von Deutschland verordnete Politik den Geist des „vereinten Europas“ zerstört und in mehreren Ländern zu heftigen sozialen und  politischen Spannungen geführt hat. Und die unbeschönigten und direkten Aussagen machen die Qualität dieses Buches aus.

Damit keine grosse Unterschiede bei der Inflation entstehen, die zu Wettbewerbsdiskrepanzen bei den Mitgliedsländern führen, muss der Lohnzuwachs dem Produktivitätswachstum plus dem Inflationsziel der EZB entsprechen. Denn die Lohnstückkosten sind der entscheidende Faktor für die allgemeinen Preisbewegungen.

Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion steuert auf ein Desaster zu. Im Kern des Scheiterns der EWU liegt Deutschlands Wirtschaftsmodell, lautet die Klage der Autoren. Dazu kommt, dass andere europäische Länder unfähig waren, das deutsche Modell offen infrage zu stellen.

Tatsächlich  hat der schrankenlose Neoliberalismus in Europa alles andere als Wohlstand gebracht. Soziale Verwerfungen gehen eindeutig auf die neoklassische Kappe der EU-Behörden zurück.

Flassbeck und Lapavitsas legen einen Austritt aus der Währungsunion als realistische und progressive Option, zu den nationalen Währungen zurückzukehren, die Demokratie zu verteidigen und die nationale Souveränität zu schützen, nahe. Das alte Europäische Währungssystem wiederzubeleben, wäre technisch nicht problematisch.

Die „unmögliche Triade“ lässt sich nämlich nicht umgehen: das Problem der Umschuldung, das allgemeinere Problem der Aufhebung  der Sparpolitik und die Konditionalität der Rettungspakete. Die Autoren fassen einen „geordneten Austritt“ einer Gruppe von Ländern ins Auge, um den Neoliberalismus als politischen Rahmen aufzugeben, wo die Finanzialisierung aller Lebensbereiche hemmungslos vorangetrieben wurde.

Ein weiterer Schuldenschnitt bleibt erforderlich. Nur indem man Griechenland die Schuldenfesseln abnimmt, kann das Land zu Wachstum und einem würdigen Lebensstandard zurückfinden. Dieses Buch ist als Referenz für einen vernüftigen wirtschaftspolitischen Weg im Sog der europäischen Krise mit einem starken makroökonomischen Unterbau unerlässlich.

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