Dienstag, 31. Mai 2016

Ohne Lohnwachstum keine Nachfrage

Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von „knapp unter 2%“ an und betrachtet dabei den Verlauf der Kerninflation  (core inflation) als Indikator für das allgemeine Tendieren der Inflation (headline inflation).

Die Kerninflation lag seit 2009 nicht „knapp unter 2%“. Und sie verläuft Bloomberg zufolge seit drei Jahren unter 1 Prozent.

Der Ölpreis ist zwar seit Januar 2016 um mehr als 75% gestiegen. Aber zwei Drittel der Kerninflation entfällt auf die sog. „Services“. Und die Inflation für die „nicht-Energie-Güter“ lag in den vergangenen 16 Jahren nie über 1,8% in der Eurozone. Vor diesem Hintergrund richtet sich das Augenmerk nach dem Preisanstieg von „Services“. 

Deutschlands Politiker verweisen zwar bereitwillig auf niedrige Arbeitslosenquote und günstige Energiepreise als Indikator für Mehr-Cash zugunsten der Verbraucher.  Aber die Services-Inflation lag in Deutschland in den letzten 12 Monaten nicht höher als 1,1%.

Warum? Weil die Löhne kaum vom Fleck kommen. Die Löhne sind im Euro-Raum im ersten Quartal 2016 um 1,4% (nominal) gestiegen. Das ist der geringste Anstieg seit der Einführung der Gemeinschaftswährung, wie die EZB Daten zeigen.



Der anhaltende Rückgang des Lohnwachstums im Euro-Raum, Graph: EZB

(Ohne Lohnwachstum gibt es kaum Konsum-Nachfrage)

Samstag, 28. Mai 2016

Helicopter Money als Fiskalpolitik durch die Hintertür

Barry Eichengreen erklärt in einem lesenswerten Interview in Finanz und Wirtschaft Helicopter Money (HM) kurz und bündig:

Staatsausgaben auf Kredit, finanziert von der Zentralbank (deficit spending).

Der an der University of California, Berkeley lehrende Wirtschaftsprofessor fasst das HM m.a.W. wieder zusammen:

Fiskalpolitik durch die Hintertür.

Zum HM kommt es i.d.R. dann, wenn die Regierungen in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft (depression) jegliche Verantwortung ablehnen und die Fiskalpolitik den Technokraten der Zentralbank überlassen.

Eichengreen hält dies aber politisch für nicht tragfähig, aus gegebenem Anlass: In Deutschland wird HM mit Hyperinflation gleichgesetzt. In den USA würde HM so betrachtet, dass die Fed damit ihre gesetzlichen Schranken überschreitet. Einzig in Japan wäre HM möglicherweise denkbar.

Freitag, 27. Mai 2016

IMF nimmt es mit Neoliberalismus auf

Der IMF nimmt dem Neoliberalismus den Nimbus. Im am Donnerstag veröffentlichten Magazin („Finance & Development“) setzen sich drei Top-Ökonomen mit der „neoliberalen Agenda“ auseinander. Zur Erinnerung: Der IMF hatte die neoliberale Doktrin lange auf seine Fahnen geschrieben.

Die Autoren knöpfen sich zwei spezifische Elemente der neoliberalen Gedankenwelt vor: Liberalisierung des Kapitalverkehrs und Haushaltskonsolidierung (besser bekannt als austerity).

Die Schlussfolgerungen sind beunruhigend: Die neoliberale Wirtschaftskonzeption hat das Wirtschaftswachstum untergraben und eine wachsende Ungleichheit ausgelöst.



Neoliberale Wirtschaftskonzeption untergräbt Wirtschaftswachstum, Graph: IMF in: Finance & Development, June 2016

Donnerstag, 26. Mai 2016

Europas Austeritätspolitik am Ende

Das ist in der Tat eine bemerkenswerte Abbildung, die die EZB im aktuellen Financial Stability Review Mai 2016 vorstellt.

Das Augenmerk ist zwar danach gerichtet, dass die Austeritätspolitik nun zu Ende geht. Die Abbildung zeigt aber im Grunde genommen, wie die Doktrin der expansionary austerity in der Eurozone gescheitert ist.

Die Haushaltskonsolidierung hatte von Anfang an eine kontrative Auswirkung auf die private Nachfrage und das Wirtschaftswachstum, auch wenn die Verfasser des Berichtes die harsche Sparpolitik im Bericht wie ein Erfolg präsentieren.



Europas prozyklische Fiskalpolitik in einer schwer angeschlagenen Wirtschaft, Graph: ECB in: Financial Stability Review, May 2016

Was im Chart nicht zu sehen, sind 21,4 Mio. Frauen und Männer ohne Arbeit als Hinterlassenschaft des harschen Sparkurses; einfache Menschen, die auf der Strecke geblieben sind.

Mittwoch, 25. Mai 2016

Negativzinsen und das falsche Versprechen

Die Geldpolitik allein kann es nicht schaffen. Wir haben immer gesagt, dass wir eine umfassende Massnahme brauchen. Wir benötigen strukturelle, fiskalpolitische und geldpolitische Politik.

Das hat Peter Praet, Direktoriumsmitglied der EZB in einem Interview mit Publico am Montag gesagt.

Die Zinspolitik bleibe noch verfügbar. Aber die Negativzinsen hätten an einem gewissen Punkt auch Nebenwirkungen, was z.B. die Rentabilität der Banken betrifft, so Praet weiter.

Es ist der EZB bislang in der Tat nicht gelungen, mit der mengenmässigen Lockerung der Geldpolitik (PSPP: Ankauf von Anleihen am offenen Markt), die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in der Eurozone anzukurbeln.

Negativzinsen sind einfach die neueste fruchtlose Bemühung seit der globalen Finanzkrise von 2008, die Wirtschaft durch monetäre Massnahmen wiederzubeleben, wie Robert Skidelsky in seiner lesenswerten Kolumne („The False Promise of Negative Interest Rates“) in Project Syndicate beschreibt.

Negativzinsen sind laut dem Professor Emeritus für Political Economy an der Warwick University der letzte Versuch, die Diskrepanz von Anreizen für die Kreditgeber und Kreditnehmer zu überwinden. Die Geschäftsbanken sollen die Liquidität, da das Parken von Geld bei den Notenbanken Kosten verursacht, stattdessen für Kreditvergabe verwenden.


Anteil der Staatsanleihen mit Negativ-Rendite am Gesamtwert der ausstehenden Staatsanleihen, Graph: FT

Dienstag, 24. Mai 2016

Quellen der Endnachfrage: USA vs Europa

Europäische Unternehmen erwirtschaften 51% des Umsatzes aus Ausgaben von Unternehmen. Der Anteil der Verbraucher beträgt 43%. Der verbleibende Rest entfällt auf die Staatsausgaben, berichten Analysten von Morgan Stanley in einer gestern vorgelegten Analyse („Global Exposure Guide“).

Und 19% der Verbraucherausgaben stammt aus dem industrialisierten Europa (ohne Grossbritannien); weitere 8% kommen aus Grossbritannien und 6% aus den US-Konsumenten.

Die Ausgaben der öffentlichen Hand betrifft v.a. Investitionsgüter, Gesundheitswesen, Pharma und Versorger, die insgesamt 75% der Ausgaben ausmachen.



Aufteilung der Einnahmen der europäischen Unternehmen, Graph: Morgan Stanley

Montag, 23. Mai 2016

Helicopter Money ist Schnee von gestern

Was ist der Unterschied zwischen Fiskal- und Geldpolitik? Eine Frage, die von Ökonomen selten eindeutig geklärt wird, weil sie annehmen, dass alle im Allgemeinen wissen, worum es genau geht.

Das stimmt aber nicht ganz, zumal die Unterscheidung in den Nachwirkungen der Finanzkrise vor allem in der anhaltenden Debatte über das sog. Helicopter Money (HM) inzwischen etwas verwischt wurde, wie Eric Lonergan in seinem Blog beschreibt.

Ein wesentlicher Grund ist, die Volkswirte sind sich dessen bewusst, dass Fiskal- und Geldpolitik sich gegenseitig beeinflussen. Der unmittelbarste Bereich der Überlappung ist, wenn es um Finanzierung von Haushaltsdefiziten geht.

Während die Geldpolitik Veränderungen in Bezug auf die Bereitstellung der Notenbankgeldmenge (monetary base) betrifft, hat die Fiskalpolitik Veränderungen in Bezug auf Steuerveranschlagung und Staatsausgaben zum Inhalt, wie Lonergan kurz zusammenfasst.

Die herkömmliche Forschungsarbeit geht davon aus, dass die die Zentralbanken dem Schatzamt vollständig unterwürfig sind, wobei die Haushaltsdefizite die Geldpolitik zu Fall bringen können, wenn die Regierung an einem gewissen Punkt Geld druckt, um ihre Rechnungen zu begleichen.

Dies unterminiert aber die oben geschilderte Unterscheidung nicht. Es legt nur nahe, dass das Schatzamt an einem gewissen Punkt die Geldpolitik unter Kontrolle nimmt. In der Praxis hat die Geldpolitik den Vorrang.

In der Eurozone ist die EZB gesetzlich gehalten, so viel wie nötig Notenbankgeldmenge (Geldbasis) zu schaffen, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Und wenn die EZB mehr Anleihen braucht, um Offenmarktpolitik (OMO: open market operations) durchzuführen, kann sie von den Regierungen fordern, diese bereitzustellen.

Und Offenmarktgeschäfte sind nichts anderes als der Ankauf und der Verkauf von Anleihen am offenen Markt. Die mengenmässige Lockerung der Geldpolitik, d.h. die QE-Politik ist dabei keine Ausnahme. Das ist, was die EZB gegenwärtig macht: Kauf von langfristigen Staatsanleihen am Markt. Und neulich kauft die EZB sogar private Unternehmensanleihen.



Helicopter Money (HM), Graph: FT

Sonntag, 22. Mai 2016

„Follow the Money“ am Anleihemarkt

Die Anleihemärkte senden derzeit interessante Signale. Während die Laufzeitprämie (term premium) für die US-Treasury Bonds mit 10 Jahren Laufzeit fällt, verkleinert sich die Rendite-Differenz (spread) zwischen den 2- und 10-jährigen amerikanischen Staatspapieren.

Der Rendite-Abstand ist inzwischen Bloomberg zufolge auf den niedrigsten Wert seit 2007 gesunken. Es sieht so aus, wie wenn die Händler demnächst eine Inversion der Ertragskurve (inverse yield-curve) erwarten würden.

Das ist dann der Fall, wenn die Renditen am kurzen Ende der Zinskurve höher liegen als die Renditen am langen Ende. Das würde jedoch auf eine Rezession hindeuten.

Die Entwicklung via Forward Swaps legt zugleich auch nahe, anzunehmen, dass die Fed die Zinsen viel zu schnell anhebt. Das letzte Mal lag die Rendite der 2-jährigen Staatspapiere laut Bloomberg in der ersten Hälfte des Jahres 2007 höher als die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen.



Der Renditeabstand zwischen 2- und 10-jährigen Staatspapieren, Graph: Bloomberg

Freitag, 20. Mai 2016

Hartnäckige Trends am Zinsmarkt

Die Laufzeitprämie (term premium) für US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit ist vergangene Woche in minus 0,38% gestürzt. Das ist laut Bloomberg der niedrigste Stand seit Anfang der 1960er Jahren.

Die Laufzeitprämie ist bisher aufgrund der anhaltenden globalen Nachfrage nach US Treasury Bonds (UST) im ganzen Verlauf des Jahres negativ gewesen.

Mit anderen Worten übertrifft die Nachfrage nach sicheren, liquiden und hochwertigen Wertpapieren in einem schwer angeschlagenen Umfeld der Wirtschaft die Sorgen über eine mögliche unerwartete Inflation.


Laufzeitprämie für US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit auf Allzeittief, Graph: Bloomberg

Donnerstag, 19. Mai 2016

US-Schatzamt und Deutschlands Überschuss im Aussenhandel

Das US-Finanzministerium hat neulich eine neue Watch-List vorgestellt, in der China und Japan öffentlich unter „Währungsmanipulationen“ genannt werden. Aber auch Deutschland steht auf der Liste, die das amerikanische Schatzamt herausgegeben hat.

Greg Ip hält es in einem wunderlichen Artikel in WSJ für verwirrend, dass Deutschland von Washington auf die Beobachtungsliste gesetzt und unfairer Praktiken im Aussenhandel verdächtigt werde.

Deutschland kann doch seine Währung nicht manipulieren, da es keine eigene Landeswährung hat, sondern den EUR, die Gemeinschaftswährung. Und es kann auch nicht das Import-Geschäft diskriminieren, weil die Handelspolitik die Aufgabe der EU (*) sei, behauptet Ip.

Der hohe Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von rund 300 Mrd. USD (8,5% des BIP) zeige, dass Deutschland weniger verbrauche als es herstelle. Aber das sei laut Ip ein Problem der weltweiten Nachfrageschwäche.

Bekannt ist, dass die Obama Administration von Deutschland fiscal stimulus verlangt, um die Nachfrage zu animieren. Das sei aber laut Ip falsch, weil Deutschlands Problem nicht im öffentlichen Sektor, sondern im privaten Sektor liege.

Deutschland verfüge zwar über einen gewissen fiskalischen Spielraum. Aber es spiele keine Rolle, weil die Eurozone keine Fiskalunion sei, so Ip weiter.



Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss, Graph: Greg Ip, WSJ

Mittwoch, 18. Mai 2016

Machtbeziehungen, Lohnwachstum und Mangel an Nachfrage

Wie wir jedem Standardwerk der Volkswirtschaftslehre entnehmen können, ist das Wachstum der Reallöhne für das Wachstum der Nachfrage entscheidend.

Angesichts der folgenden Abbildung erstaunt es nicht, dass es in den fortentwickelten Volkswirtschaften an Nachfrage mangelt. Das Lohnwachstum bleibt weit hinter dem Wachstum der Produktivität.

Während Experten von secular stagnation reden, stagniert der Konsum. Und die Binnenwirtschaft liegt in Europa am Boden.



Das Lohnwachstum steht mit dem Wachstum der Produktivität nicht im Einklang, Graph: Morgan Stanley

Dienstag, 17. Mai 2016

Sind Banken rentabel, wenn die Zinsen höher sind?

Die Banken in der Eurozone sparen nicht mit Kritik an der gegenwärtigen Geldpolitik der EZB. Die Klagen, die laut werden, sind aus den Schlagzeilen bekannt:

Die historisch niedrigen Zinsen machen Banken zunehmend zu schaffen. Die Negativzinsen erschweren es Banken, Geld zu verdienen usw.

Wir neigen dazu, zu denken, dass die Banken hohe Zinsen bevorzugen und die Einnahmen der Banken wahrscheinlich höher sind, wenn die Zinsen für Kredite und andere Investitionen höher liegen, schreibt David Wheelock vom Research-Department der Fed St. Louis in einer aktuellen Analyse.

Die Banken müssen jedoch ihre Investitionen finanzieren. Und die Finanzierungskosten sind im Allgemeinen höher, wenn die Marktzinsen höher sind.

Die meisten Banken finanzieren ihre Kredite und andere Investitionen durch Ausgabe von Anleihen, in erster Linie in Form von Einlagen, aber auch durch verschiedene Wertpapiere, die sie auf dem offenen Markt verkaufen.

Daher ist die Wirkung der höheren Zinsen auf die Netto-Zinsmargen (*) (net interest margins) der Banken mehrdeutig.



Netto-Zinsmargen der Banken im Vergleich zum Verlauf der Rendite der kurzfristigen Staatspapiere (UST notes), Graph: Fed St. Louis

Sonntag, 15. Mai 2016

Monopole, Einkommensverteilung und Ungleichheit

Es ist interessant, zu beobachten, wie das Thema Einkommensverteilung und Ungleichheit im Nachspiel der Finanzkrise von 2008 ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt ist.

Es gibt zwei Denkrichtungen, was die Einkommensverteilung bestimmt (und wie eine Volkswirtschaft funktioniert), schreibt Joseph Stiglitz in einem lesenswerten Artikel („Monopoly’s New Era“) in Project Syndicate.

Die eine, die auf Adam Smith und die liberalen Ökonomen des 19. Jahrhunderts zurückgeht, konzentriert sich auf durch Konkurrenz geprägte Märkte.

Die andere, die erkennt, dass Smiths Form des Liberalismus zu einer raschen Konzentration von Vermögen und Einkommen führt, deutet auf die Tendenz unregulierter Märkte zur Monopolbildung hin.

Die Anhänger der neoklassischen Schule vertreten die Ansicht, dass die Märkte durch Wettbewerb bestimmt werden und die Erträge der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer mit ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Beitrag („Grenzprodukt“) in Verbindung stehen.

Das ist natürlich Unsinn: Es gibt keine individuelle Grenzproduktivität. Dass in unübersehbar vielen praktischen Fällen und Berufen nicht sinnvoll von der Produktivität des einzelnen sprechen kann, hat Heiner Flassbeck in den vergangenen Jahren in diversen Schriften überzeugend dargelegt.


Eine kurze Geschichte der Ungleichheit, Graph: Branko Milanovic in: Bloomberg View, May 2016.

Freitag, 13. Mai 2016

Chinas Überkapazitäten und Nebenwirkungen

Die aktuellen Daten aus China zeigen, dass sich die durchschnittliche Haltedauer von Future Positionen im chinesischen Rohstoffhandel in den vergangenen Monaten wesentlich verkürzt hat.

Insbesondere im Handel von Betonstahl und Eisenerz, wo die Preise im April exponentiell gestiegen sind, ist die Halteperiode deutlich zurückgefallen. Das deutet auf spekulative Aktivität hin, was wiederum nahelegt, dass die Rohstoffpreise nach unten verzerrt sind, wie die Analysten von Morgan Stanley in einer gestern vorgelegten Studie unterstreichen.

Letztes Jahr war es der Aktienmarkt; nun sieht auch der Rohstoffmarkt verwundbar aus. Und von den Übertragungseffekten (spillovers) dürften in erster Linie die sog. Emerging Markets (als Rohstoff-Exporteur) betroffen werden, und zwar durch die Verschlechterung von terms of trades.



Chinas Rohstoffmarkt: abnehmende Haltedauer von Future-Positionen, Graph: Morgan Stanley

Mittwoch, 11. Mai 2016

Deutschlands Stellung in der europäischen Wirtschaftsmisere

Martin Wolf nimmt in seiner Kolumne kein Blatt vor den Mund: Der Chef-Kommentator der FT aus London schreibt („Germany is the eurozone’s biggest problem“) am Dienstag, dass Deutschland das grösste Problem der Eurozone ist.

Die wachsende Kritik an der Geldpolitik der EZB aus Deutschland geht auf den Ordoliberalismus in der Nachkriegszeit zurück, argumentiert der Mitherausgeber der britischen Wirtschaftszeitung.

Nach diesem Ansatz hat die ideale Makroökonomie drei Elemente: (1) einen ausgeglichenen Haushalt zu fast allen Zeiten, (2) Preisstabilität (mit einer asymmetrischen Präferenz für Deflation) und (3) Preisflexibilität.

Das Konzept mag für eine kleine und offene Volkswirtschaft gelten. Aber es kann nicht verallgemeinert werden, v.a. nicht für eine Währungsunion wie die Eurozone, so Wolf weiter.

Und er macht darauf aufmerksam, dass die reale Nachfrage in der Eurozone im IV. Quartal 2015 um 2% tiefer war als im I. Quartal 2008, während die Nachfrage in Amerika um 10% höher lag.

Die EZB handelt richtig, um zu verhindern, dass die europäische Wirtschaft, die unter einer chronisch schwachen Nachfrage leidet, in eine Deflationsspirale gerät, erläutert Wolf.


Deutschlands Überschuss in allen Sektoren: private Haushalte, Unternehmen und die öffentliche Hand; alle sparen, nur das Ausland verschuldet sich, was sich im hohen Überschuss der Leistungsbilanz Deutschlands widerspiegelt, Graph: Martin Wolf in: FT

Dienstag, 10. Mai 2016

Finanzmarkt und Unabhängigkeit der Zentralbank

Es liegt auf der Hand, dass die Zentralbanken aus makroökonomischer Sicht nicht allein für die Niedrigzinsen verantwortlich sind.

Da aber Ökonomen und Politiker in Deutschland das gegenwärtige Zinsniveau seit paar Wochen besonders heftig beklagen, bemüht sich die EZB neuerdings tüchtig um Aufklärung.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund der gestrige Vortrag von Vitor Constancio in London. EZB-Vizepräsident unterstreicht mit Nachdruck, dass eine wachstumsfreundliche Fiskalpolitik vonnöten ist, um eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft zu fördern. Dass die Geldpolitik inzwischen ausgeschöpft ist, wurde in den vergangenen Tagen von anderen EZB-Direktoriumsmitgliedern bekräftigt.

Was aber in diesem Kontext nicht vergessen werden darf, ist der Einfluss des Finanzsektors auf die Geldpolitik. Simon Wren Lewis erinnert in seinem Blog daran, dass die Mainstream-Ökonomen viel zu viel die Unabhängigkeit der Zentralbank von der Politik hervorheben, aber zu wenig Wert auf die Unabhängigkeit vom Einfluss des Finanzwesens und der Banker legen.


Inflation im Euro-Raum, Graph: ECB

Sonntag, 8. Mai 2016

Zentralbank als Vermögensverwalterin

Der Anteil der SNB an US-Aktien im SNB-Portfolio ist per Ende des ersten Quartals 2016 auf 54,5 Mrd CHF gestiegen, wie Bloomberg gestützt auf die Angaben der US-Börsenaufsicht SEC berichtet. Das entspricht einem Anstieg von rund 31% im Vergleich zum vierten Quartal 2015.

Die grössten US-Aktienpositionen der SNB umfassen Apple, Microsoft und Exxon Mobil.

Die Bilanzsumme der SNB beläuft sich per Ende Dezember 2015 auf 640,1 Mrd. CHF. Der Eigenkapital-Anteil beträgt rund 61 Mrd. CHF. Aus Diversifikationsgründen prüft die SNB dauernd neue Anlageklassen, Währungen und Anlagemöglichkeiten.

Die SNB investiert bei ihren Aktienengagements „indexnah“. Das heisst, dass sie keine Titelselektion betreibt.



US-Aktienbestand der SNB per Ende 1Q2015, Graph: Bloomberg


Freitag, 6. Mai 2016

Sichere Anlagen und Geldpolitik

In einer abflauenden Weltwirtschaft bleibt der Appetit auf sichere und liquide Staatsanleihen wie z.B. US-Treasury Bonds oder German Bunds im Sog der Finanzkrise von 2008 (immer noch) schier unersättlich.

Was auffällt, ist, dass der Ansturm der sog. Schwellenländer auf hochwertige Staatsanleihen (safe assets) seit geraumer Zeit wesentlich viel zum Rückgang der Rendite der Anleihen beiträgt. Das Angebot bleibt aber wegen der Risikotoleranz in den fortentwickelten Volkswirtschaften begrenzt.

Um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach sicheren Anlagen zu schliessen, legt Kenneth Rogoff den Schwellenländern nahe, einen Teil der Fremdwährungsreserven in Gold umzuschichten.

Und das US-Schatzamt denkt über eine umfassende Überarbeitung des Marktes für Staatsanleihen (Volumen: rund 13'000 Mrd. USD) nach, meldet FT: Es werde diskutiert, alte Papiere durch neue („on-the-run“ Anleihen), für globale Investment Portfolios zum Handel geeignete Papiere zu ersetzen.

Das Augenmerk richte sich nicht nur danach, Trading Konditionen zu verbessern, sondern auch nach der Struktur und Effizienz des Marktes, um die Liquidität zu erweitern, so die britische Zeitung aus London.


Sichere Anlagen: Angebot und Nachfrage, Graph: Gary B. Gorton in: NBER Paper: „The History and Economics of Safe Assets“, April 2016.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Interview: Prof. Iris Bohnet, Harvard University

Iris Bohnet, Professor of Public Policy, is a behavioral economist at Harvard Kennedy School


How do we avoid “unconscious bias“ to build a better society regarding gender equality?

Avoiding unconscious bias is almost impossible. Instead, we have to make it easier for our biased minds to get things right, or put differently, break the link between our biased beliefs and our actions. Awareness of one’s biases certainly is a first step in the right direction but to translate it into behavior, more is required than awareness. Much research suggests that awareness alone is not enough. However to learn about their own biases, people should take the Implicit Association Test

Thousands of people have already taken the test and learned that they, too, were biased against people of certain races, cultures, genders, religions and even looks. For example, we tend to prefer tall men to short men or are more likely to trust more attractive than less attractive people. Of course, the evidence shows that attractive people are not more trustworthy but behave just like everyone else. But our biased minds quite literally cannot “see” this and instead, associate good looks with good behaviors.

Once aware of our biases, we can start to design around them, to keep them from affecting our behavior. For example, organizations might want to blind themselves to the “looks” and more generally, the demographic characteristics of job applicants. New software such as, e.g., APPLIED or UNITIVE, makes it easier for companies to do so.  

The software allows hiring managers to quite literally liberate their minds to focus on talent instead of whether someone looks the part. My book offers 36 designs to de-bias organizational practices and procedures in talent management and elsewhere to level the playing field for everyone.

Verhaltene Animal Spirits und Niedrigzinsen

Das globale Niedrigzinsumfeld ist ein Symptom der Herausforderungen in der Weltwirtschaft, nicht eine Ursache, sagte Mario Draghi am Montag in Frankfurt.

Wir brauchen eine expansive makroökonomische Stabilisierungspolitik, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen, so EZB-Präsident weiter.

Was Draghi damit meint, ist ein Policy Mix: Geld- und Fiskalpolitik, um die Erfüllung der Zielinflationsrate von rund 2% in der Eurozone wiederherzustellen.

In der Tat unterbietet die EZB den eigenen Zielwert (*) seit Februar 2013. Das heisst, dass die Preisstabilität nicht gewährleistet ist.

Es gibt laut Draghi im Wesentlichen zwei Antreiber: Der immer noch anhaltende Schuldenabbau (deleveraging) im privaten Sektor und die Produktionslücke (output gap), die wegen der fehlenden Investitionsnachfrage geöffnet bleibt.

Die Rendite der Staatspapiere mit 2 Jahren Laufzeit ist derzeit nach Angaben von Morgan Stanley in 18 Volkswirtschaften weltweit negativ.



Ist Helicopter Money bereits im Einsatz?, Graph: Morgan Stanley

Dienstag, 3. Mai 2016

Draghi erklärt Niedrigzinsen und fordert Fiscal Stimulus

Mario Draghi hat gestern in einem Forum („The future of financial markets“) in Frankfurt zu der wachsenden Kritik der Politiker und der Banker aus Deutschland an der gegenwärtigen Geldpolitik der EZB Stellung genommen.

Die Niedrigzinsen sind nicht das Problem, sondern das Symptom eines zugrundeliegenden Problems; nämlich der schwachen Investitionsnachfrage in der ganzen Welt, die nicht fähig ist, alle Ersparnisse zu absorbieren. 

Und dies erfordert, dass wir sowohl die lang- als auch die kurzfristigen Treiber der Nachfragemangel angehen, und dafür nicht nur Geldpolitik, sondern auch andere Arten von Massnahmen einsetzen, erklärt EZB-Präsident.

Was Draghi mit „anderen Massnahmen“ meint, ist klar: fiscal stimulus. Später in seinem Referat beschreibt EZB-Chef den einzig möglichen Spielraum in der Zusammensetzung des Policy-Mix: ein Gleichgewicht der Geld- und Fiskalpolitik.

Diejenigen, die heute eine geringere Rolle für die Geldpolitik fordern und eine kürzere Periode der monetären Expansion befürworten, implizieren in der Tat (notwendigerweise) eine grössere Rolle für die Fiskalpolitik, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzukurbeln und die Produktionslücke (output gap) zu schliessen, betont Draghi mit Nachdruck.



Eurozone BIP, Graph: NYTimes

Montag, 2. Mai 2016

Draghi-Bashers und taumelnde Geldpolitik

Während die wilde Kritik durch die Politiker und Banker an Mario Draghi und der EZB anhält, verstecken sich EZB-Vertreter nicht.

Benoit Cœure, EZB-Direktoriumsmitglied hat gestern in FAZ Sonntagszeitung bekräftigtdass die Geldpolitik wirksamer wäre, wenn alle Länder, die über einen fiskalpolitischen Spielraum verfügen, mit anpacken würden. Die Niedrigzinsen seien ein Symptom der makroökonomischen Interdependenzen, die weit über die Geldpolitik hinausgehen.

Peter Praet, EZB-Direktoriumsmitglied hat am 29. April in einem Expansion-Interview gesagt, dass eine Zinserhöhung heute die wirtschaftliche Erholung in Europa ohne Zweifel gefährden würde.

Das ist in der Tat die Frage, die sich stellt: Was würde passieren, wenn die EZB im heutigen Umfeld der Wirtschaft die Zinsen erhöhen würde?

Paul Krugman liefert in seinem Blog dazu eine hervorragende Abbildung, die uns die BIP-Lücke zwischen den USA und dem Euroraum zeigt.

Dass die Eurozone hinter der US-Wirtschaft zurückgefallen ist, war nicht von Anfang an so. Was ist also 2011-2012 geschehen?



BIP-Lücke zwischen der amerikanischen und der europäischen Wirtschaft, Graph: Paul Krugman in NYTimes


Sonntag, 1. Mai 2016

Die sture Sparpolitik ist das Problem

Das BIP ist im Euroraum im ersten Quartal 2016 (im Vergleich zum Vorquartal) um 0,6% gewachsen.

Gemessen an Output (2'480 Mrd. EUR) erreicht die Wirtschaftsleistung im Euroraum damit zum ersten Mal seit der Krise das Niveau vom 1Q2008, berichtet Bloomberg.

Es hat den Euroraum 11 Quartale gekostet, auf das Vorkrisenniveau zurückzukommen, so der Bericht weiter.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Austeritätspolitik funktioniert hat und die Krise vorbei ist. Manche Länder stecken immer noch in einer Depression, wie Joseph Stiglitz neulich bei einer Tagung der Hans-Böckler Stiftung in Brüssel hervorgehoben hat.

Die Arbeitslosigkeit verharrt weiterhin im zweistelligen Bereich und die Eurozone schneidet schliesslich noch schlechter ab als die Nicht-Euroländer in der EU, wie in der nächsten Abbildung zu sehen ist.



BIP im Euroraum, Graph: Bloomberg