Montag, 21. November 2016

Wann ist im Euroraum ein Haushaltsdefizit zu hoch?


Jens Weidmann hat am Freitag beim Bankenkongress in Frankfurt davor gewarnt, dass Brüssel darauf verzichte, die Wirtschaftsregeln der Eurozone anzuwenden, wie FT berichtet.

Nötig seien Strukturreformen, die der EZB-Rat auch unablässig angemahnt habe. 

Der Präsident der deutschen Bundesbank hat damit die Europäische Kommission direkt angegriffen:

„Unglücklicherweise sind die Marktkräfte die einzigen Anreize für solide Staatsfinanzen, da die EU-Kommission praktisch aufgegeben hat, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts durchzusetzen“, so Weidmann weiter. 

Am Mittwoch hat die EU-Kommission einzelne EUR-Staaten vor einer zu sorglosen Fiskalpolitik gewarnt, aber davon abgesehen, das EU-Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal einzuleiten. Noch im Sommer hatte Brüssel empfohlen, die „wegen mangelhafter Haushaltsdisziplin“ drohende Geldbusse gegen beide Länder zu erlassen.



Der private Sektor und die Unternehmen im Euroraum sind Netto-Sparer, Graph: Morgan Stanley

Was heute auffällt, ist, dass die öffentliche Debatte sich um die Defizit-Höhe dreht, während die Ersparnisse im Privatsektor vollkommen ignoriert werden.

Es ist aber entscheidend, das Haushaltsdefizit im Verhältnis zu Ersparnissen des privaten Sektors zu betrachten.

Die globale Finanzkrise von 2008 hat einen Schuldenberg hinterlassen und der Schuldenabbau-Prozess (deleveraging) am Privatsektor setzt sich heute noch fort, obwohl die nominalen Zinsen seit geraumer Zeit nahe Null liegen (zero lower bound).

Spanien hat beispielsweise ein Haushaltsdefizit von -5,1%, aber die Sparquote des privaten Sektors beläuft sich auf 8,20%. Auch Portugal kann ein Lied davon singen: Der europäische Staat im Westen der iberischen Halbinsel weist ein Haushaltsdefizit von -4,4% auf. Aber die Ersparnisse des privaten Sektors machen rund 5% des BIP aus. 

Das heisst, dass die Ersparnisse im Privatsektor sowohl in Spanien als auch in Portugal höher sind als jeweils das Defizit im öffentlichen Sektor. Das bedeutet in erster Linie, dass die Wirtschaft in eine Deflationsspirale geraten kann, wenn es zu keinem Wachstum kommt, wenn v.a. auch die öffentliche Hand einem Sparkurs verdammt wird. 

Die Wirtschaft kann m.a.W. nicht stabilisiert werden, wenn der Staat nicht mehr Geld ausgibt. Die Forderung, dass Spanien und Portugal jeweils das Haushaltsdefizit senken sollen, ist im gegenwärtigen Marktumfeld absurd. Das Haushaltsdefizit ist ganz im Gegenteil heute viel zu niedrig. 

Die Wirtschaft kann kein Wachstum generieren und die Beschäftigung nicht fördern, wenn der Staat die Gürtel enger schnallen soll, während der private Sektor und die Unternehmen Netto-Sparer sind.

Die Frage, ob das Haushaltsdefizit zu hoch ist oder nicht, kann daher nur im Zusammenhang mit den Ersparnissen des Privatsektors beantwortet werden, nicht gestützt auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der nicht anders als eine kümmerliche Widerspiegelung der neoliberalen Doktrin im Euro-Raum ist.


Finanzierungssalden der Wirtschaftssektoren in Portugal, Graph: Heiner Flassbeck in Makroskop


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