Mittwoch, 11. Oktober 2017

Macron mit Mikro gegen Makro


Anfang dieses Jahres wurde der fotogene Emmanuel Macron in den Medien als die helle Hoffnung der EU frenetisch gefeiert.

Das war bevor die Popularität des französischen Staatspräsidenten aufgrund seiner wirtschaftspolitischen Fehlkonzeptionen rapide bergab ging.

Versuche, diesen Niedergang zu erklären, konzentrieren sich heute zumeist auf Macrons Herangehensweise an die Regierungsführung (governance).

Doch die möglichen Gründe liegen tiefer. 

Macron hat v.a. die wirtschaftliche Situation Frankreichs falsch eingeschätzt, legt Steve Keen in einem lesenswerten Artikel in RT dar.

Der an der Kingston University in London lehrende Wirtschaftsprofessor hebt hervor, dass Macron ausgehend von einem fehlgeleiteten Modell auf die üblichen Argumente zurückgreift, die behaupten, dass die Arbeitslosigkeit zu hoch ist, weil die Löhne zu grosszügig ausgestattet werden.

Dem Arbeitsmarkt fehlt Flexibilität und die übermässigen Staatsausgaben verdrängen den privaten Sektor (crowding-out), lauten die Kerngedanken der Konzeption.

Macrons wirtschaftliche Agenda zielt daher auf die Reform des französischen Arbeitsrechtes und die Reduzierung der Staatsausgaben.


Makroökonomische Paradoxe, Graph: Exploring Economics


Seine Arbeitsmarktpolitik basiert auf dem Argument von „Angebot und Nachfrage“, mit der Betonung, dass die Arbeitslosigkeit durch zu hohe Löhne verursacht werde.

Deshalb glaubt er daran, dass die Nachfrage nach Arbeit steigen würde, wenn man die „Rigiditäten“ am Arbeitsmarkt abschaffen würde.

Der Arbeitsmarkt funktioniert aber nicht wie der Kartoffeln-Markt. "Angebot und Nachfrage"-Analysen greifen hierbei zu kurz.

Macrons Haushaltspolitik folgt des Weiteren der ordo-liberalen Überzeugung, wie Keen ausführlich beschreibt, dass z.B. „Haushaltsdisziplin“ die Konditionen für den Handelsverkehr verbessere.

Derzeit werden in Paris sogar Überlegungen angestellt, die Kürzung der Staatsausgaben (um 20 Mrd. EUR) mit Kündigungen und Lohnstopps im öffentlichen Sektor zu begleiten.



Wie Prof. Keen zu Recht mit Nachdruck unterstreicht, wird die Senkung der Löhne auch das BIP reduzieren, da die Unternehmen auf einen Rückgang der privaten Nachfrage mit weniger Investitionen reagieren werden.

Und das wiederum wird die Nachfrage nach Arbeitskräften verringern, nicht erhöhen, wie die mikroökonomische Theorie nahelegt. Den französischen Arbeitnehmern droht daher das gleiche Leiden wie den britischen Arbeitsnehmern unter Margaret Thatcher und Tony Blair.

Die Logik ist einfach: Man stelle sich vor, dass eine Einrichtung über ein Einkommen von 200 Mrd. EUR p.a. verfügt und alles ausgibt, sodass ihre Ersparnisse gleich Null sind.

Man stelle sich weiter vor, dass sie nun beschliesst, 10 Mrd. EUR zu sparen (save), indem sie 10 Mrd. EUR weniger ausgibt, während sie immer noch gleich verdient. Das ist möglich. Wir nennen sie „Sektor A“.

Was jetzt passiert, ist, dass auch das Einkommen anderer Sektoren um denselben Betrag fallen: weniger Ausgaben im Sektor A bedeutet nämlich weniger Einnahmen in anderen Sektoren der Wirtschaft.

Wenn wir jetzt die Wirtschaft in drei Sektoren teilen (A, B und C), stellen wir fest, dass die Sektoren B und C, wenn sie am gleichen Punkt starten (d.h. Einnahmen 200 Mrd. EUR und Ausgaben 200 Mrd. EUR im Jahr), sich veranlasst sehen, jeweils 5 Mrd. EUR an Ersparnissen aufzubrauchen (dis-save). 

Auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ändern sich die Ersparnisse damit nicht; sie bleiben bei null. 

Das Einkommen sinkt also auf der Makro-Ebene, wenn Einzelpersonen (oder ein Industriesektor, eine Regierung oder eine Nation in einem Handelsblock) versuchen, auf der Mikro-Ebene zu sparen.

Fazit: Makrons Bemühungen, Frankreichs Staatsausgaben zu senken, wird auch das französische BIP senken, um dieselbe Grössenordnung, und wird möglicherweise weiter fallen, falls auch die privaten Haushalte und Unternehmen beginnen, Schulden zu reduzieren, ja sogar zum Netto-Sparer zu werden.

Zur Erinnerung: Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen.

Wenn das einzelwirtschaftliche Denken (d.h. das Denken in den Kategorien eines privaten Haushaltes) über die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge triumphiert, kann die Erholung der europäischen Wirtschaft kaum vom Fleck kommen. Die Unterbeschäftigung verharrt dann auf einem hohen Niveau.

Europa gerät in eine Falle.



1 Kommentar:

Hartmut Leinweber hat gesagt…

Wenn Politiker den Unterschied von Mikro und Makro nicht hinkriegen, dann ist das sehr ärgerlich. Wenn aber deren neoklassische Berater diesen Zusammenhang nicht verstehen, dann ist das kaum nachzuvollziehen. Denn die Fakten sind bereits mit den Grundrechenarten zu erkennen. Es kann sich nur um gezielte Interessenvertretung handeln. Die "Erfolge" der Arbeitsmarktreformen der letzten 20 Jahre habe ich atuell in meinem Blog http://theoriefehler.de/ unter dem Titel "Vom Nutzen von Arbeitsmarktreformen" hinsichtlich der empirischen Erkenntnisse beschrieben.