Donnerstag, 7. November 2013

Europas Problem mit Inflation

Inflation bedeutet eine anhaltende Abnahme des Geldwertes. Deflation ist das Gegenstück zu Inflation. Das heisst: Ein allgemeiner Rückgang des Preisniveaus, über längere Zeit.

Es ist aber kein Grund zum Feiern, dass die jährliche Inflationsrate im Euroraum im Oktober auf 0,7% gesunken ist. Zum Einen, weil die EZB ein gemeinsam festlegtes Inflationsziel von 2% verfolgt und es jetzt deutlich unterschreitet. Zum Anderen, weil eine gemässigte Inflation in der Tat eine gute Sache wäre, und zwar aus zwei Gründen.

Auf der Nachfrageseite: Inflation verringert das Problem, das entsteht, wenn die Zinsen auf der Null-Grenze aufprallen (zero lower bound). Die Nominalzinsen können nicht unter Null fallen. Aber die Realzinsen schon, weil i.d.R. eine mässige Inflation in den Erwartungen eingebettet ist.

Auf der Angebotsseite: Inflation reduziert das Problem der nach unten starren Löhne (downward nominal wage rigidity). Da niemand gern Lohnsenkungen in Kauf nimmt oder akzeptiert, stellt die Lohnrigidität eine Einschränkung dar, wenn die Löhne „tatsächlich“ fallen müssen.

Beide Probleme sind heute sowohl in den USA als auch in Europa zu beobachten, schildert Paul Krugman in seinem Blog. Im Euro-Raum ist das Problem aber besonders schlimm,und zwar wegen der Austeritätspolitik. Da die Fiskalpolitik sowohl im Kern als auch an der Peripherie der Eurozone restriktiv ist, bleibt die Geldpolitik als die einzige Möglichkeit übrig, um die Euro-Krise zu bekämpfen. Die Länder in Südeuropa werden daher gezwungen, die Preise und Kosten via „interne Abwertung“ (internal devaluation) anzupassen.



Fallende Preise im Euro-Raum, Graph: Morgan Stanley, Nov 2013


Inzwischen scheint die EZB die Deflationsgefahr im Euro-Raum endlich zu erkennen. EZB-Präsident Mario Draghi hat heute den Leitzins auf 0,25% gesenkt. Damit können sich Banken günstiger Geld besorgen. Ob die Zinssenkung als spektakulär gilt, mag dahin gestellt sein. Schliesslich korrigiert die EZB damit die passive Straffung der Geldpolitik in den vergangenen Monaten. Denn die EZB hat seit der Ankündigung des OMT-Programms zumeist an der Seitenlinie zugeschaut.


Infationsrate im Euro-Raum. 0,7%, Graph: ZKB in DMO, Nov 2013

Warum ist aber Deflation gefährlich? 

(1) Wenn die Menschen fallende Preise erwarten, halten sie sich mit Ausgaben zurück und sind weniger bereit, Kredit aufzunehmen. Wenn Preise fallen, lohnt es sich, Cash zu halten. Das Horten von Geld wird dann eine Art Investition mit einem positiven Ertrag. Siehe Japan in den 1990er Jahren. Da die Menschen Deflation erwarten, bleibt die Wirtschaft angeschlagen. Da die Wirtschaft schwer angeschlagen bleibt, bleibt Deflation bestehen. Das ist die sog. Deflationsfalle, wie Krugman es nennt. 

(2) Die fallenden Preise erhöhen die reale Last der Schulden. Die Schuldner werden gezwungen, ihre Ausgaben zu senken, gerade dann, wenn ihre Schulden steigen, wobei die Gläubiger währenddessen nicht bereit sind, ihre Ausgaben um denselben Betrag zu erhöhen. Deflation übt m.a.W. einen schlechten Einfluss auf die Ausgaben aus. Es kommt zu einem Teufelskreis, wo gedrückte Ausgaben wegen der real steigenden Last der Schulden die Deflation weiter vorantreiben. Irving Fisher hat den ganzen Prozess (deflationäre Schuldenspirale) 1933 unter dem Stichwort „Debt-Deflation“ zusammengefasst. Deflation ist daher wegen der potenziellen Debt-Deflation Gefahr besonders problematisch. 

(3) In einer Wirtschaft mit Deflation fallen die Löhne genauso wie die Preise. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass die Löhne nach unten starr sind. Niemand akzeptiert gern Lohnkürzungen. Es sei denn, es herrscht Massenarbeitslosigkeit, sodass einige verzweifelte Arbeitnehmer Lohnkürzungen, wenn Not am Mann ist, in Kauf nehmen.

Fazit: Als Schlussfolgerung gilt es, dass einige (bereits bestehende) ökonomische Probleme sich verschlimmern, wenn Inflation fällt, zumal die Entstehung der Nominaleinkommen von Deflation negativ beeinflusst wird. Sowohl die Theorie als auch die Empirie legen nahe, dass bei Deflation die Kaufkraft sinkt. Deswegen wäre eine stabile Inflation in einer Grössenordnung um 3-4% heute ziemlich hilfreich, wie Olivier Blanchard von IWF vor ein paar Jahren vorgeschlagen hat. Europas Inflationsproblem ist heute, dass die Inflation zu niedrig ist.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Deswegen wäre eine stabile Inflation in einer Grössenordnung um 3-4% heute ziemlich hilfreich,[...] Europas Inflationsproblem ist heute, dass die Inflation zu niedrig ist."

Und was passiert mit der Kaufkraft von Sparguthaben, Renten, Lebensversicherungen etz.? Der Staat wird in der Regel nicht bereit sein einen vollen Inflationsausgleich auf Renten zu gewähren (siehe Spanien). Die Kosten der Inflation tragen letztlich diejenigen, welche die Komplexität des Wirtschaftsgeschehen nicht verstehen!