Dienstag, 11. Oktober 2011

Was bedeutet IS-LM?

Die Debatte über das IS-LM Modell in der Blogosphäre findet unter Experten statt. Der Austausch der Ansichten von renommierten Ökonomen mag für Laien verwirrend wirken. Paul Krugman will daher in seinem Blog eine Abhilfe schaffen.

IS steht für Investitionen und Sparen. LM steht für Liquidität und Geld.


Was der Leser als erstes wissen muss, ist, dass es mehrere korrekte Wege gibt, das IS-LM Modell zu erklären. Das liegt daran, dass es sich dabei um ein Modell aus mehreren interagierenden Märkten handelt. Man kann also aus mehreren Richtigunge einsteigen. Jeder davon ist ein gültiger Ausgangspunkt, erklärt Krugman.

Der an der Princeton University lehrende Wirtschaftsprofessor geht so vor, dass er das IS-LM Modell als eine Möglichkeit von zwei scheinbar unvereinbaren Ansichten darüber, was die Zinssätze bestimmt, betrachtet.


Eine Sicht besagt, dass der Zinssatz durch das Angebot und die Nachfrage nach Einsparungen ermittelt wird. Das ist der loanable funds-Ansatz (d.h. das Modell der Kreditmärkte).


IS-LM, Graph: Prof. Paul Krugman
Die andere Sicht besagt, dass der Zinssatz vom tradeoff zwischen Anleihen, die Zins abwerfen, und dem Geld, das keinen Zins abwirft, aber welches für Transaktionen verwendet werden kann und deshalb einen besonderen Wert aufgrund seiner Liquidität hat, bestimmt wird. Das ist der liquidity preference-Ansatz (d.h. das Liquiditätsprefärenzmodell des Zinssatzes).

Wie können beide Ansichten wahr sein? Weil es von mindestens „zwei“ Variablen die Rede ist, nicht von einer. Von dem BIP sowie dem Zinssatz. Und die Anpassung des BIP ist es, warum sowohl loanable funds als auch liquidity preference zutreffen, bekräftigt Krugman.

Beginnen wir mit dem loanable funds-Ansatz. Nehmen wir an, dass die gewünschten Einsparungen und die gewünschten Investitionsausgaben derzeit gleich sind und dass etwas passiert, sodass der Zinssatz fällt. Muss der Zinssatz wieder auf sein ursprüngliches Niveau ansteigen? Nicht unbedingt. Ein Überschuss der gewünschten Investitionen über die gewünschten Einsparungen kann zu Expansion der Wirtschaft führen, was Einkommen erhöht. Und da ein Teil des Anstiegs des Einkommens gespart werden wird, und wir annehmen, dass die Investitionsnachfrage nicht genauso ansteigt, kann ein ausreichend grosser Anstieg des BIP für eine Angleichung von gewünschten Einsparungen und gewünschten Investitionen beim neuen Zinssatz sorgen.

Das heisst, dass loanable funds den Zinssatz nicht bestimmen. Der Ansatz bestimmt eine Reihe von möglichen Kombinationen von Zinssatz und BIP, wobei niedrige Zinssätze einem höheren BIP entsprechen. Und das ist die IS-Kurve.

Andererseits wollen die Menschen darüber befinden, wie sie ihr Vermögen verteilen, indem sie Kompromisse zwischen Geld und Anleihen treffen. Es gibt eine abfallende Nachfrage nach Geld: je höher der Zinssatz, desto mehr knausern Menschen mit der Liquidität zu Gunsten einer höheren Rendite.

Nehmen wir vorübergehend an, dass die Fed die Geldmenge fixiert hält. In diesem Fall muss der Zinssatz so sein, dass er mit der Nachfrage nach der Geldmenge übereinstimmt. Und die Fed kann den Zinssatz bewegen, indem sie die Geldmenge ändert: erhöhe die Geldmenge und der Zinssatz muss fallen, um die Menschen zu veranlassen, eine grössere Menge Geld zu halten.

Auch hier muss das BIP berücksichtigt werden: ein höheres BIP-Niveau bedeutet mehr Transaktionen und damit eine höhere Nachfrage nach Geld, unter sonst gleichen Bedingungen. Ein höheres BIP bedeutet also, dass der erforderliche Zinssatz, der mit dem Angebot und der Nachfrage nach Geld übereinzustimmen hat, steigen muss. Das heisst, dass wie loanable funds auch liquidity preference den Zinsatz per se nicht bestimmt. Es definiert eine Reihe von möglichen Kombinationen von Zinssatz und BIP. Das ist die LM-Kurve.

Der Punkt ist, wo die Kurven sich kreuzen, sowohl das BIP als auch der Zinssatz bestimmt wird und an diesem Punkt sind die beiden Ansätze, loanable funds und liquidity preference gültig sind.

Welchen Nutzen bietet dieser Rahmen? Zunächst einmal hilft er, Irrtürmer zu vermeiden wie die Vorstellung davon, dass, weil Einsparungen gleich Investitionen sein müssen, die Staatsausgaben nicht zu einem Anstieg der gesamten Ausgaben führen können, was sich von der Argumentation abhebt, welche Chicago Professoren irgendwie überzeugend finden, hält Krugman fest. Und der Rahmen schützt vor Verwirrungen wie vor der Vorstellung, dass das Haushaltsdefizit durch eine Erhöhung der Zinssätze eine Schrumpfung der Wirtschaft verursachen kann.

Was spektakulär ist, dass IS-LM sich als sehr nützlich für das Nachdenken über extreme Bedingungen wie in der Gegenwart erweist, wo die private Nachfrage gefallen ist, dass die Wirtschaft depressiv bleibt, auch wenn der Zinssatz auf Null liegt. Es sieht dann so aus wie in der folgenden Abbildung:


Flache LM-Kurve, Graph: Prof. Paul Krugman

Warum ist aber die LM-Kurve auf Null flach? Weil, wenn der Zinssatz unter Null fallen würde, würden die Menschen einfach nur noch Geld halten anstelle von Bonds. Dann wird das Geld nur als Wertaufbewahrungsmittel gehalten. Und Veränderungen der Geldmenge haben keinen Effekt. Das ist die Liquiditätsfalle.

Und IS-LM macht einige Vorhersagen über das, was in der Liquiditätsfalle geschieht. Haushaltsdefizite verschieben IS nach rechts. In der Liquiditätsfalle hat es keine Auswirkungen auf den Zinssatz. Der Anstieg der Geldmenge tut überhaupts nichts.

Aus diesem Grund haben diejenigen, die IS-LM verstehen, vorhergesagt, dass die Zinsen niedrig bleiben würden und eine Verdreifachung der Geldbasis (d.h. Notenbankgeldmenge = Giroguthaben der Banken bei der Zentralbank + Notenumlauf) nicht inflationär ist. Das WSJ, die Austrians und die anderen üblichen Verdächtigen haben hingegen im Frühjahr 2009 behauptet, dass die Zinsen durch die Decke schiessen und die Inflation massiv steigen würde.

Die Ereignisse seither bedeuten trotz einiger allgemeinen Inflation wegen des Anstiegs der Rohstoffpreise eine riesige Genugtuung für IS-LM, und eine grosse Niederlage für diejenigen, die einen Anstieg der Zinssätze und der Inflation vorhergesagt haben.

Fazit: IS-LM vereinfacht vieles und kann daher nicht als das letzte Wort genommen werden. Aber das Modell hat getan, was gute ökonomische Modelle tun sollen: die Bedeutung dessen herausfinden, was man sieht und sehr nützliche Vorhersagen darüber machen, was unter ungewöhnlichen Umständen passieren würde. Die Ökonomen, die IS-LM verstehen, haben es bei der Verfolgung der gegenwärtigen Krise erheblich besser gehabt als diejenigen Menschen, die den Ansatz nicht verstehen.

Exkurs:

Nach dem Liquiditätspräferenz-Modell des Zinssatzes wird der Zinssatz durch Angebot an und Nachfrage nach Geld bestimmt.

Nach dem Modell des Kreditmarktes (loanable funds model) wird der Zinssatz durch die Angleichung von angebotenen und nachgefragten Mitteln auf dem Kreditmarkt bestimmt.

Welches der beiden Modelle trifft nun zu?
Die Antwort lautet: beide.

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