Sonntag, 19. Oktober 2014

Keynes

Buchbesprechung:

Peter Temin and David Vines: Keynes – Useful Economics for the World Economy, MIT Press, Massachusetts and London, 2014


Griechenland hatte einst Deutschland Schulden erlassen. Es geschah im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens im Februar 1953

65 Staaten (darunter Griechenland) haben damals zur Entschuldung der Deutschen zugestimmt (rund die Hälfte der Auslandschulden in Höhe von 30 Mrd. DEM). Deutschlands Auslandsschulden bestanden aus Vorkriegsschulden und Nachkriegsschulden.

Im Jahr 1919 hatte einer der hochrangigen Vertreter Grossbritanniens die Verhandlungen um den Versailles Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg wütend verlassen. Sein Name war John Maynard Keynes. Sein Argument lautete, dass es zu harsch sei, dem Verlierer des Krieges zu viel Schulden aufzubürden.

Von Deutschland hohe Reparationszahlungen (an die Siegermächte) zu verlangen, sei kontraproduktiv, sagte Keynes. Das globale Wirtschaftswachstum würde abgeschwächt, wenn die Deutschen statt Güter im Ausland zu kaufen, Reparationszahlungen leisten müssten. Damals profitierte die britische Wirtschaft von einem export-getriebenen Wachstum.

Keynes hat seine Gedanken dazu in einem später veröffentlichten Buch „The Economic Consequences of the Peace“ (1919) zusammengetragen. Die Theorie über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Beschäftigung hat er aber aus seiner Analyse des internationalen Handels hergeleitet und im Buch „The General Theory of Employment, Interest and Money“ im Jahr 1936 publiziert: Staatsausgaben können Arbeitslosigkeit reduzieren und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln.

Peter Temin and David Vines zeigen in diesem lesenswerten Buch auf, wie Keynes sich mit dem Rahmenwerk einer geschlossen Wirtschaft beschäftigt, aber sein Augenmerk immer global gerichtet hat. Die Schlussfolgerung der Autoren für die Gegenwart steht von Anfang an fest, dass Keynes‘ Idee von deficit spending (d.h. Ausgabe von staatlichen Haushaltsmitteln zur Belebung der Konjunktur, wenn die Wirtschaft schwer angeschlagen ist) Europa heute sehr gut tun würde.

Aus Sicht von Temin und Vines geht Deutschland heute im Lichte der Geschichte über Gebühr harsch vor, Schuldnerländern in der Eurozone Austeritätspolitik vorzuschreiben. Stattdessen wäre eine expansive Fiskalpolitik nötig, wenn säkulare Stagnation droht, so der an der MIT Wirtschaftsgeschichte lehrende Temin und der an der Oxford University tätige Wirtschaftsprofessor Vines.

Was das Buch alles in allem unterstreicht, ist, dass eine genau Studie der Great Depression der 1930er Jahre eine Warnung nahelegt, nicht frühzeitig Haushaltskonsolidierung anzustreben bzw. die Zinsen zu erhöhen. Die EZB (2011 im April und im Juli) und die Schwedens Riksbank hoben die Zinsen tatsächlich vorschnell an. Infolgedessen dirigiert Niedriginflation in der Euro-Zone im Vorfeld einer potenziellen triple-dip Rezession-Gefahr, während Schweden mit Deflation konfrontiert ist.

Liegen die nominalen Zinsen nahe null (zero lower bound), funktioniert der gewöhnliche Korrelation zwischen der Geldmenge und Inflation sowie Kreditaufnahme und Zinssätze nicht mehr. Das ist die Lehre aus Keynes Wirtschaftstheorie. Wer trotzdem die Quantitätstheorie an den Tag legt, befürwortet wider besseres Wissen fiscal austerity in Angst vor Bond Vigilantes und löst damit deflationäre Tendenzen aus, während die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharrt.

Keynes hat nie eine Theorie der Erwartungen formuliert. Stattdessen hat er geltend gemacht, dass die Erwartungen durch „animal spirits“ bestimmt werden, welche stabil bleiben, wenn das „Meer flach ist“, sonst aber Panik ausgesetzt sind, wenn Sturm aufzieht. Nach Auffassung von Keynesianern führen irrationale Elemente im Wirtschaftsgeschehen wie z.B. unreflektierte Instikte und Herdenverhalten zu konjunkturellen Schwankungen.

Heute verwenden renommierte Ökonomen in der amerikanischen Blogosphäre eine bunte Sprache, geschmückt mit Zombies, cockroaches (Kakerlaken-Idee), confidence fairy (Vertrauen Fee), derp (auch hier), um Aufmerksamkeit zu erwecken und das schiere Ausmass des Unsinns in der makroökonomischen Diskussion hervorzuheben.

Die Begriffe richten sich nicht an Personen, sondern an Argumente, um historisch ignorante Behauptungen, dass Keynes z.B. heute angesichts der hohen Schulden nicht fiscal stimulus gefordert hätte.

Das Keynes Modell ist ein Abbild der Wirtschaft, keine Beschreibung. Die Vereinfachung im Modell geht zu Lasten von Einzelheiten der Realität. Der Vorteil ist aber das Verständnis davon, wie die Wirtschaft funktioniert.

Deutschlands Wirtschaftswachstum ging in der EWU auf Kosten der anderen europäischen Länder. Berlin hat mit Lohn-Dumping den Rest der Euro-Zone an die Wand gefahren. Während die Euro-Zone nun in einer Deflationsfalle steckt, drohen unvorteilhafte Auswirkungen der Austeritätspolitik sich auf den Rest der Weltwirtschaft auszuweiten (spill over effect). Starkes Buch, gerade zum richtigen Zeitpunkt, um zu verstehen, was die Märkte uns heute mit Niedriginflation mitteilen.


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