Samstag, 16. November 2013

No One’s World

Buchbesprechung:

Charles A. Kupchan: No One’s World. The West, the Rising Rest and the Coming Global Turn. Oxford University Press, Oxford, New York 2013.



2010 haben die Weltbank und der IWF sich einverstanden erklärt, das Stimmrecht der Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Südamerika zu erhöhen. Eine Veränderung, die auf Kosten des entwickelten Westens zustande kam. Eine Mehrzahl der Experten ist sich mittlerweile einig, dass die Welt an der Schwelle zu einem Global Turn steht.

In den vergangenen 200 Jahren haben Europa und die USA die Natur der modernen Welt geprägt. Die westliche Vorrangstellung scheint aber inzwischen zu vergehen. Brasilien, China, Indien, die Türkei, um die meist zitierten Protagonisten zu nennen, erheben sich. Zum ersten Mal in der Geschichte entsteht eine unabhängige Welt ohne ein Zentrum als Anziehungskraft.

Das 21. Jahrhundert wird nicht den USA, China oder Asia gehören, sondern niemandem, schreibt Charles A. Kupchan in seinem neuen Buch. Eine globale Ordnung, wenn sie sich entwickelt, wird eine Mischung aus diversen politischen Kulturen und zueinander in Konkurrenz stehenden Konzeptionen von einheimischen und internationalen Ordnungen sein, argumentiert der an der Georgetown University lehrende Professor für internationale Beziehungen.

Der Autor verfolgt mit diesem Werk zwei Ziele: (1) ein analytisches Ziel, um die Ursachen und die Folgen der bevorstehenden globalen Wende (global turn) zu erkunden, und (2) ein verordnendes Ziel in Form eines Entwurfs, wie der Westen sich auf das 21. Jahrhundert einstellen kann.

Zunächst erklärt Kupchan, wie der Westen einem einzigartigen und bedingten Weg gefolgt ist: Der Haupttreiber des Aufstiegs des Westens war das sozioökonomische Ferment: Europa und Amerika haben gemeinsam eine politische Ordnung geschmiedet, die von den Grundsätzen wie „liberal democracy, industrial capitalism“ und „secular nationalism“ definiert war.


Die Bewahrung der westlichen Ordnung verlangt vor diesem Hintergrund, dass der Vorstoss der Modernisierung in den Entwicklungsländern eine homogene Gemeinschaft der Nationen entlang der westlichen Linien ermöglicht, so Kupchan. Die meisten aufsteigenden Mächte folgen aber heute nicht dem Entwicklungsweg des Westens: sie haben ein unterschiedliches kulturelles und sozioökonomisches Fundament, weshalb sie ihre eigene interne Ordnung und ideologische Orientierung suchen.

Der Aufstieg des Westens war dadurch gekennzeichnet, dass Europa fragmentiert war (man denke an die Topographie: hohe Berge, Hügel, Flüsse usw.) und aus konkurrierenden Zentren der Autorität bestand. Es war die Reformation, die in diesem Zusammenhang zum religiösen und politischen Pluralismus beigetragen hat, was den Aufstieg von neuen Akteuren wie Händlern und Handwerkern förderte. Mit der Zeit ist daraus eine bürgerliche Gesellschaft hervorgegangen.

Da es an einer wohlhabenden und gut organisierten Bürgerschaft gefehlt hat, hat der Osten mit dem Westen nicht Schritt halten können. Es gab keine religiöse und politische Transformation ausserhalb des Westens. Während der Christentum eine Religion des Glaubens ist und nicht das Gesetz und die Politik darstellt, ist der Islam nicht nur eine Religion des Glaubens, sondern auch das Gesetz und die Politik zugleich. Der Sultan im Osmanischen Reich war beispielsweise Kaiser und in gleicher Weise Papst.

Mit anderen Worten hat die Zentralisierung der Autorität im Osmanischen Reich die Entstehung einer gesellschaftlichen Vitalität, der wirtschaftlichen Dynamik und des notwendigen politischen und religiösen Pluralismus verhindert, um Europa folgen zu können. Im Westen hingegen ermöglichten politische Fragmentation, kommerzielle Innovation, Verstädterung, sozio-ökonomische Differenzen zwischen Stadt und Land das Aufkommen einer Bürgerschaft, die sich allmählich als Gegengewicht zu Monarchie, Aristokratie und die Kirche formte, was einen politischen Spielraum für verfassungsrechtliche Ordnung auf einem fruchtbaren Boden schuf.

Wenn sich jetzt eine neue, auf Regeln basierende Ordnung entwickelt, muss sich der Westen der politischen Vielfältigkeit annehmen, anstatt darauf zu bestehen, dass die liberal democracy die einzig legitime Form der Staatsführung ist, erklärt Kupchan weiter. Terrorismus, Weitergabe von Atomwaffen, Klimawandel, Energiesicherheit, Wasser- & Nahrungsmittel-Sicherheit und Finanzkrise stellen Herausforderungen dar, die nur in Partnerschaft mit einem breiten Spektrum von Ländern angegangen werden können. Es bedarf daher einer neuen, mehr inklusiven Vorstellung der Rechtmässigkeit (legitimacy), so Kupchan.

Solange andere Länder vernünftige Standards für verantwortungsvolle Governance einhalten, sollte ihre politische Wahl vom Westen als eine Angelegenheit von nationaler Verfügungsfreiheit respektiert werden. Es gilt aber sicherlich, sich gegen die Länder, die ihre Bevölkerung quälen und plagen, wie Sudan, Nordkorea und Zimbabwe, zur Wehr zu setzen. Die USA sollen dabei als die weltbeherrschende Macht die Führung in Bezug auf die Gestaltung dieses mehr pluralistischen Ansatzes für die Gesetzmässigkeit übernehmen.

Kompromisse, Toleranz und Pluralismus waren entscheidend für den Aufstieg des Westens. Die kommende politische Ordnung sollte deshalb eine Sorte von Globalisierung fördern, wo die Prosperität mehr gleichmässig verteilt ist. Die globalisierte Wirtschaft hat die Vermögensungleichheit vergrössert, innerhalb und untereinander von Ländern. Auch die Milderung der Vermögensungleichheit erfordert also eine wesentliche Anpassung der liberalen ökonomischen Ordnung, die durch den Westen errichtet wurde, hält der Autor fest.

So können Grundprinzipien bewahrt werden, um den „West und den aufsteigenden Rest“ zu gleiten, in Richtung eines neuen, auf Regeln beruhenden Systems zur Förderung des globalen Wachstums, was der Autor als „multiple versions of modernity“ nennt und hinzufügt, dass z.B. Deutschland dabei die Binnennachfrage ankurbeln und mehr Güter aus dem Rest der Welt importieren muss.

Politische Vielfalt und Pluralismus kommen noch. Der Aufstieg des Westen  war schliesslich in vielerlei Hinsicht das Produkt der Bereitschaft der Europäer Veränderungen zu billigen und die religöse sowie politische Vielfältigkeit zu begrüssen, was den ökonomischen, politischen und ideologischen Status Quo umkippte. Das Buch bietet für alle, die an der Schwelle zum Globalen Turn das ganze Grosse im vergleichenden geschichtlichen Schaubild im Überblick behalten wollen, einige nicht neue, aber Aufmerksamkeit erregende Denkanstösse.

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