Sonntag, 17. Juni 2012

Lehren aus Lettland


Olivier Blanchard, Chefökonom des IWF befasst sich in einem Artikel im Blog von IWF mit der jüngsten Erfahrung Lettland in makroökonomischer Hinsicht.

Lettland hat 2008 einen „Boom-and-Bust“-Zyklus wie ein Paradebeispiel nach dem Lehrbuch erfahren.

Die Wirtschaft ist zwischen 2005 und 2007 im Durchschnitt um mehr als 10% gewachsen. Das Leistungsbilanzdefizit ist auf mehr als 20% des BIP gestiegen. Im Frühjahr 2008 kam das Wachstum jedoch zum Erliegen. Ende 2008 lag die Produktion um 10% tiefer unter dem Höchststand. Das Haushaltsdefizit schoss in die Höhe. Das Kapital ist aus dem Land abgeflossen.

Die lettische Regierung hat sich geweigert, die Landeswährung abzuwerten. Lettland hat an der festen Koppelung am Euro festgehalten, um die Möglichkeit nicht zu verspielen, später der EU beizutreten. Die im Inland vergebenen Kredite beliefen sich zu 90% auf Euro.

Die Mechanik der Anpassung war einfach unkompliziert. Ein weiterer starker Rückgang der Produktion, gefolgt von einer steigenden Wettbewerbsfähigkeit wegen der Lohnkürzungen, aber auch zunehmend durch Produktivitätszuwächse. Das Wachstum wurde von der externen Nachfrage getragen.

Ist es ein Erfolg?


BIP (real) im Vergleich (Estland, Irland, Lettland, Litauen, Island), Graph: Prof. Paul Krugman

Wie kann man beim Anblick der Abbildung erwarten, dass Lettland als Held der Krise verehrt wird?

Im Übrigen: Island hat eine viel niedrigere Arbeitslosenquote als alle anderen Länder.

Die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Anpassung waren massgebend. Die Produktion (output) ist im Jahre 2009 um 16% eingebrochen und verläuft immer noch 15% unter dem Spitzenwert von 2007. Die Arbeitslosigkeit ist auf mehr als 20% geklettert und steht heute bei 16%, weit höher als jede vernünftige Schätzung der natürlichen Arbeitslosigkeit (Sockelarbeitslosigkeit) nahelegt.

Gab es aber eine andere, weniger kostspielige Möglichkeit der Anpassung, gleitend, durch eine langsamere Haushaltskonsolidierung? Die Wahrheit ist, dass wir es nie erfahren werden, argumentiert Blanchard.

Die lettischen Politiker wünschen sich, dass der IWF-Chefökonom die starke front-loading Haushaltskonsolidierung als Grund für die „Erfolgsgeschichte“ Lettlands anpreist. Aber Blanchard lässt sich die Worte nicht in den Mund legen. Während der Rückgang der Produktion dramatisch war, ist die Erholung relativ, vielmehr in V-Form erfolgt als er erwartet habe, aber er sei immer noch über die Auswirkungen auf die Langzeitarbeitslosigkeit besorgt, so Blanchard.

Blachard vertritt daher die Ansicht, dass die Lehren aus Lettland an die EU-Peripherie nicht übertragbar sind, zumal viele der Konditionen, mit denen Lettland konfrontiert war, nicht anderswo erfüllt sind. Und die Anpassung, die Südeuropa machen muss, viel kleiner ist. Die Volkswirtschaften sind an der EU-Peripherie weniger flexibel und weniger offen. Und die Staatsverschuldung ist höher als in Lettland. Die Anpassung in Südeuropa werde deshalb schwierig und schmerzhaft.

Fazit: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Ein recht gutes Wirtschaftswachstum nach einem unglaublich tiefen Absturz liefert gerade keinen Beweis zu Gunsten des Konzepts der fiskalischen Austerität.

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