Samstag, 16. Juni 2012

Woran der Euro scheitert


Die Abbildung zeigt die Entwicklung der Rendite der Staatsanleihen in der Eurozone vor und nach der Einführung der Gemeinschaftswährung. Und v.a. nach der Pleite von Lehman Brothers.

Was ist passiert?

Die Länder in Südeuropa  hatten am Anfang höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen müssen. Warum? Weil die Investoren eine Risikoprämie verlangt haben. Wofür? Für das Risiko einer Abwertung (devaluation) und aber auch für das Risiko eines Zahlungsverzugs (default).

Mit der Einführung des Euro sind die Risikoprämien einfach über Nacht verschwunden. Die Staatsanleihen aus Griechenland, Italien, Portugal und Spanien wurden plötzlich so gehandelt wie wenn sie in Sachen Bonität genauso sicher wären wie die deutschen Staatsanleihen.

Es kam folglich zu einem massiven Zufluss des Kapitals aus dem Kern in die Peripherie der Euro-Zone. Während die Löhne am Rande der EU signifikant gestiegen sind, stagnierten sie im Kern, z.B. in Deutschland. Die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Länder in Südeuropa hat aber damit stark abgenommen. Zugleich hat der Kapitalzustrom im Süden einen Boom am Immobilienmarkt ausgelöst. Dann ist die Spekulationsblase im Sog der Lehman-Pleite geplatzt. Das Kapital ist wieder abgeflossen. Zurückgelieben waren riesige Handelsbilanzdefizite.


Eurozone: Entwicklung der Rendite der Staatsanleihen im Verlauf der Zeit (Jan. 1993 bis Okt. 2011), Graph: Frances Woolley via David Andolfatto


Die Regierungen haben Massnahmen treffen müssen, um die von der Krise schwer geplagten Banken zu retten. Die Haushaltsdefizite und die Staatsverschuldung sind in die Höhe geschnellt. Am Vorabend der Krise hatten Spanien und Irland Haushaltsüberschuss und wenig Schulden. Auch Portugal hatte kaum nennenswert hohe Schulden.

Nun sind die Länder an der EU-Peripherie gezwungen, die im Verhältnis zum Kern der Euro-Zone stark gestiegenen Löhne und Preise nach unten zu korrigieren. Da sie nicht über eine eigene Währung verfügen, können sie nicht abwerten. Wie sollen sie aber die Kosten senken? Brüssel diktiert eine harsche Austeritätspolitik. Das Stichwort heisst internal devaluation. Im Klartext: Lohnsenkungen. Die drakonischen Sparmassnahmen führen in einem depressiven Umfeld der Wirtschaft zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale. Das Ergebnis wird nicht anders sein als Deflation und Stagnation. Die Wirtschaft schrumpft und das Steueraufkommen nimmt ab. Die Staatsquote (Schulden:BIP) steigt.

Da die EZB sich weigert, ein etwas höheres Inflationsziel anzupeilen, und kein Wirtschaftswachstum vorhanden ist, können die Staaten die Schulden nicht loswerden. Die Austerität verschärft die Kontraktion weiter.

Es gilt daher, festzuhalten, dass die Euro-Krise nicht durch die Verschwendung der öffentlichen Mittel verursacht worden ist. Die Merkel-Regierung macht aber daraus eine Moralfabel und lehnt ein Konjunkturprogramm zur Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ab. Die EZB weigert sich, als Zentralbank zu agieren, indem sie die Funktion als lender of last resort nicht wahrnimmt. Der Euro befindet sich nach  und nach am Rande des Abgrunds und es droht mittlerweile eine Wiederholung von Europa von 1931.

"Was haben sie sich dabei gedacht?“, fragt Frances Woolley zu der von sich selbst gelieferten Abbildung in seinem Blog

David Andolfatto erinnert sich, woran er gedacht hat: ein immer wiederkehrendes Thema sei damals gewesen, als er über das International Monetary Systems unterrichtet hatte, dass der Erfolg der Währungsunion von der Vorstellung der „fiskalpolitischen Koordination“ getragen würde. Er sei deshalb zum Schluss gekommen, dass es auf der Hand liege, dass die EWU diese Fakten zwischen den unterschiedlichen Regionen Europas respektieren würde.

Heute aber bemerkt der Leiter der Research Division der Federal Reserve Bank von St. Louis, dass er damals in dieser Hinsicht vielleicht zu Unrecht naiv gewesen sei. Ist es aber vernünftig, anzunehmen, dass auch die Manager von grossen Anleihefonds ebenso naiv waren?

Um die ganze Entwicklung adäquat abzurunden, lohnt es sich einen Blick auf eine weitere aussagekräftige Abbildung, die Heiner Flassbeck vor einem Jahr präsentiert hat, zu werfen.

Lohnstückkosten bestimmen die Preise, Graph: Heiner Flassbeck and Friederike Spiecker in: “The Euro – a Story of Misunderstanding”, 2011.

Das zentrale Problem war das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie und des Kerns der Euro-Zone. Der dramatische Verlauf der Divergenz der Lohnstückkosten zeigt auf, wie z.B. Frankreich gegenüber Deutschland krass an Boden verloren hat. In einer Währungsunion bedeutet der Gewinn des einen an Wettbewerbsfähigkeit der Verlust des anderen. Dieser kausale Zusammenhang, der für das Überleben einer Währungsunion entscheidend ist, wurde von der EU geflissentlich ignoriert.


Lohnstückkosten in der Euro-Zone, Graph: Heiner Flassbeck and Friederike Spiecker in: “The Euro – a Story of Misunderstanding”, 2011.

4 Kommentare:

Johannes hat gesagt…

Die Stellungnahme aus dem angelsächsischen Raum über die Finanzpolitik Deutschlands klammert die politische Situation aus.
Fakt ist doch, dass die in finanzielle Bedrängnis geratenen Staaten völkerrechtlich souveräne Staaten sind. Es waren die gewählten Regierungen dieser Staaten, die es zuließen, dass sich ihre Banken dermaßen verschuldeten, dass sie in Schieflage gerieten.
Und nun forderten das Establishment dieser Staaten, dass die Völker die sich nicht an diesem Kasinospiel beteiligten ihre Schulden übernehmen, ohne dass die Souveränität des Staates angetastet werden soll. Das wäre genauso, als wenn eine Bank einem Häuslebauer Geld leiht und dafür keine Sicherheiten verlangt. Das kann gut gehen, es kann aber auch schief gehen.
In Falle von Griechenland und Spanien ist es schief gegangen. Beide Staaten fordern die Solidarität der Euro Mitglieder, wollen aber nicht ihre nationale Souveränität dafür einsetzen. Im Gegenteil. Sie versuchen eine Hetzkampagne gegen die, die ihnen helfen sollen.
Dass die solventen Euro Staaten sich nicht erpressen lassen, ist darum umso verständlicher.
Ich bin mit Leib und Seele Europäer. Aber so geht es nicht.

Anonym hat gesagt…

@Johannes:

Das Bankensystem war aber unterreguliert. Es ging um Wettkampf der Nationen nach dem Motto „Staat ist Problem, Markt ist Lösung“. Es war eine Art „rat race“: die Finanzinstitute haben verantwortungslos Geld verliehen. Der Mensch hatte dem System zu dienen, obwohl das Gegenteil hätte gelten sollen. Der vorherrschende Glaubensatz ging nämlich von vollkommen funktionierenden Märkten aus. Die EWU hat von Anfang an die Möglichkeit einer Stabilitätspolitik ausgeschlossen. Deshalb braucht es heute mehr Regulierung.

ACEMAXX-ANALYTICS hat gesagt…

Sorry, das war ich, es erschien irgendwie versehentlich "anonym".

Johannes hat gesagt…

@ACEMAXX-ANALYTICS
Es waren die nationalen Aufsichtsbehörden, die zusahen, wie ihre Banken immer größere Risiken eingingen.
Und der deutsche Sparer soll dieses Verhalten noch stillschweigend billigen. Das kann es doch nicht sein.